TY - JOUR AU - Schuldt, Karsten AU - Mumenthaler, Rudolf T1 - Partizipation in Bibliotheken JF - LIBREAS. Library Ideas IS - 32 PY - 2017 UR - https://libreas.eu/ausgabe32/schuldt/ AB - Sommersemester 2017, im Unterricht an der HTW Chur: "Ich verstehe immer noch nicht, was genau Sie von mir wollen." Eine Studierende hielt mit diesem Satz die ganze Arbeit im Seminar an. Wir, die beiden Autoren dieses Textes, waren als Professor respektive Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Bibliothekswissenschaft selbstverständlich auch in der Lehre aktiv. Neben regelmäßig zu gebenden Kursen, die man inhaltlich updaten kann, aber die doch immer wieder ähnlich ablaufen, sind Seminare die Königsdisziplin. In ihnen kann man mit den Studierenden eine offene Fragestellung bearbeiten. Es geht nicht um konkrete Ergebnisse, sondern darum, zu lernen, selbstständig an realen Problemen zu forschen und zum Beispiel auch damit umzugehen, wenn dies keine oder negative Ergebnisse bringt. Es geht ums eigenständige Forschen. Wir haben mit diesen Seminaren sehr gute, motivierende Erfahrungen gemacht und die Erkenntnisse (oder Nicht-Erkenntnisse) gerne auch publiziert. (Haas, Mumenthaler & Schuldt 2015; Schuldt & Mumenthaler 2015) Aber diesmal war es anders: Das Thema des Seminars lautete "Partizipation in Bibliotheken". Wieder einmal war ein Thema im Bibliothekswesen als neuer Trend aufgetaucht und wir hatten Zweifel. Zusammen mit den Studierenden wollten wir untersuchen, (a) was das überhaupt heisst, (b) was im Bibliothekswesen – der Schweiz – überhaupt partizipativ gemacht werden könnte und (c) wie man in Bibliotheken partizipativ forschen kann. Das ist recht viel, aber wir wollten die Studierenden entscheiden lassen, partizipativ, in welcher Richtung sie eigentlich forschen wollten. Der oben angeführte Satz fiel in der dritten Sitzung, ganz am Ende. Die Sitzungen waren immerhin je vier Stunden lang. Zuvor waren die Studierenden und wir nicht untätig gewesen. In der ersten hatten wir das Feld umrissen – was ist alles zur Partizipation zu sagen, welche Zweifel haben wir bei dem Thema (das Wort "Pseudopartizipation" kam ständig auf), warum ist das doch ein Trend,1 was könnte man für Fragen stellen? Wir hatten Projekte vorgestellt, die in der aktuellen bibliothekarischen Literatur "partizipativ" genannt wurden sowie Methoden der partizipativen Forschung präsentiert. Zudem führten wir einen (reduzierten) Co-Design Workshop durch. In der zweiten Sitzung veranstalteten wir mit den Studierenden dann einen Design Thinking Workshop. Beide Workshop-Formen gelten in der Literatur als "partizipativ", die Studierenden sollten erfahren, wie es sich als Teilnehmende in diesen anfühlt. Wir haben – der eine mehr als der andere – unsere eigene Kritik an diesen Formen von Partizipation, aber sie sind das, worüber Bibliotheken heute reden. Wir diskutierten mit den Studierenden, was die Workshops selber gebracht hätten. In der dritten Sitzung nun sollten die Studierenden partizipativ – das Thema des Seminars sollte auch das Seminar selber leiten – untereinander Themen und Forschungs-/Projektmethoden diskutieren und am Ende ungefähr wissen, was sie (in Gruppen) in der Folge bearbeiten würden. Wir wollten das alles recht offen lassen. Die Studierenden entwickelten erst Ideen, schrieben sie nieder, lasen sie gegenseitig und diskutierten sie. Dann erst entschiedenen sie sich für die, die sie selber angehen würden. Was für eine gute Idee, dachten wir. Freie Diskussion, keine Eile beim Thema-Suchen, ein Prozess, wo alle etwas sagen, sich einbringen können und dazu wenig Druck. Mehrfach hatten wir betont, dass die Noten für das Umgehen mit den Herausforderungen – und eben nicht für ein richtiges / falsches Ergebnis – erteilt werden. Zumal wir Noten nicht so wichtig fanden. Wer mitmacht, besteht schon. Es sollte ums eigene Forschen gehen. Partizipation statt Leistungsdruck. Und dann das. Andere Gruppen von Studierenden hatten schon ihre Themen gewählt, aber die Gruppe, der die Studierende angehörte, kam nicht dazu. Vielmehr machte sie uns klar, dass unsere Vorstellung, Partizipation im Klassenraum zu ermöglichen, eher zu Unsicherheiten geführt hatte. "Ich verstehe immer noch nicht, was genau Sie von mir wollen." Wir diskutierten, was wir von den Studierenden wollten: Dass sie sich selbstständig, im Austausch mit vielen (Partizipation im Sinne einer gemeinsamen Meinungsbildung) für ein Thema entscheiden sollten, das sie dann angehen würden. Entweder als Forschung oder als Projekt. Aber andere Studierende machten uns klar, dass das ja sehr nett von uns dahergesagt wäre: Freie Wahl, freie Diskussion, Offenheit bei Themenwahl und Projektergebnissen, ihnen Macht über die eigene Arbeit geben. Aber am Ende des Seminars waren es immer noch wir beide – die Autoren dieses Textes –, die die Macht hatten, Noten zu geben. Was war passiert? Es war so schön ausgedacht: Die Studierenden dürfen in einem Seminar zur Partizipation im Rahmen partizipativ sein (dass es einen Rahmen braucht, hatten wir in Seminaren zuvor gelernt; auch dass es wichtig war, darauf hinzuweisen, dass der Weg und die eigene Arbeit bewertet werden, nicht das richtige oder falsche Ergebnis). Stattdessen kam das ganze zu einem Halt. Wir waren irritiert. Alle – Dozenten und Studierende. T4 - Ein Experiment, eine Collage Y3 - 18.06.2020 M4 - Citavi ER -