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Raus aus dem Elfenbeinturm
Raus aus dem Elfenbeinturm

Raus aus dem Elfenbeinturm

Angewandte Forschung ist eng mit der Praxis verbunden. Deshalb begleiten Praktikerinnen und Praktiker das Projekt PROMO 35 und tragen damit zur Qualitätssicherung bei. Was es braucht, sind vor allem kritisch-innovative Stimmen.

Text: Prof. Dr. Curdin Derungs, Dario Wellinger / Bild: eigene Darstellung, FH Graubünden

Die Personalsuche ist für Gemeindebehörden in der Schweiz zunehmend schwieriger geworden. Mehr als ein Drittel aller Gemeinden hat grosse Mühe, qualifizierte Kandidierende für die zahlreichen Behördenwahlen zu finden. Auffallend ist die unterdurchschnittliche Vertretung von jungen Erwachsenen. Nicht einmal jeder zwanzigste Gemeinderat ist jünger als 35 Jahre.

Mit dem Projekt PROMO 35 sucht das Zentrum für Verwaltungsmanagement (ZVM) nach Lösungen. Ziel ist es, auf Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen Instrumente zur politischen Nachwuchsförderung zu entwickeln. Die Gemeinden sollen in ihrer Personalsuche unterstützt werden, Verbesserungsmöglichkeiten erkennen und Massnahmen umsetzen können. Langfristig will das Projekt den Anteil junger Erwachsener in den Gemeindeexekutiven erhöhen und damit einen Beitrag zu einem starken Milizsystem in den Schweizer Gemeinden leisten.

Unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen

Das politische Engagement junger Erwachsener ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu zählen, neben der familiären Prägung, auch die persönlichen Interessen und Ressourcen sowie die Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt spielt auch der Arbeitgeber eine wichtige Rolle. Ohne flexible Arbeitszeitmodelle sind vor allem Ämter in der Gemeindeexekutive für junge Erwachsene kaum eine Option. Vor diesem Hintergrund gestaltet sich auch die Förderung des politischen Engagements unter jungen Erwachsenen als komplex und vielschichtig. Deshalb ist es wichtig, möglichst viele Perspektiven abzudecken und verschiedene Anspruchsgruppen zu berücksichtigen. Nur dann gelingt es, praxistaugliche Massnahmen zu entwickeln.

Aus diesem Grund bezieht das Forschungsdesign von PROMO 35 Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Perspektiven ein. Dazu wurden zum einen potenzielle, aktuelle und ehemalige Mitglieder von Gemeindeexekutiven, die zwischen 20 und 35 Jahre alt sind, zu ihren Bedürfnissen befragt. Zum anderen nahmen über 600 Gemeinden aus der Deutschschweiz an einer Umfrage teil und beurteilten u.a. die Wirksamkeit möglicher Massnahmen. Auch wurden ausgewählte Unternehmen befragt, da sie junge Erwachsene in ihrer Entscheidung, ein öffentliches Amt in der Gemeinde zu übernehmen, mitbeeinflussen. Auf Grundlage der Befragungsergebnisse wurden konkrete Massnahmen in Zusammenarbeit mit ausgewählten Praxispartnern und mit den Gemeinden selbst (Modellgemeinden) im Rahmen einer Projektbegleitgruppe abgeleitet und getestet. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse wurden den Gemeinden – als Hauptzielgruppe – sowie der breiten Öffentlichkeit über promo35.ch zugänglich gemacht.

Begleitgruppe zur Qualitätssicherung

Das Projekt PROMO 35 ist als typisches Fachhochschulprojekt anwendungsorientiert ausgerichtet, d.°h. die Resultate sollen für die Praxis aufbereitet und anwendbar sein. Für die Qualitätssicherung bei der Entwicklung von Massnahmen ist es deshalb zentral, Praxisvertreterinnen und -vertreter in das Projekt zu involvieren und ihre Anregungen adäquat in die Forschungsarbeiten einfliessen zu lassen. Das Forschungsdesign von PROMO 35 stellt eine heterogene Zusammensetzung der Projektbegleitgruppe sicher. Darin sind sowohl der Schweizerische Gemeindeverband, kantonale Gemeindeverbände und Ämter für Gemeinden als auch economiesuisse und der Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) vertreten. Letzterer bringt die Sicht der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein. Ausser auf unterschiedliche inhaltliche Perspektiven wurde beim Forschungsdesign auch auf die geografische Abdeckung geachtet: So wurden Vertreterinnen und Vertreter aus den drei Kantonen Zürich (urban), Graubünden (ländlich) und Aargau (intermediär) in die Projektbegleitgruppe aufgenommen.

Qualitätssicherung als laufender Prozess

Die Projektbegleitgruppe war kontinuierlich in das Projekt involviert (vgl. Abbildung). Nach jedem Teilschritt wurden die erarbeiteten Inhalte im Rahmen einzelner Workshops den Praxisvertreterinnen und -vertretern vorgestellt und gemeinsam reflektiert. Der «Lackmustest» für die entwickelten Instrumente und Massnahmen erfolgte dann in einer abschliessenden Befragung unter den Modellgemeinden, d. h. ausgewählten Gemeinden, die noch keinen Bezug zum Projekt hatten und die somit ohne Vorwissen und Befangenheit ihre Rückmeldung zu dessen Anwendbarkeit und Praxistauglichkeit geben konnten.

Abbildung: Forschungsdesign mit Perspektiven und Qualitätssicherungsprozesstest

Kritische und innovative Stimmen gefragt

Die FH Graubünden bringt in dieses Projekt die wissenschaftlich-anwendungsorientierte Seite ein, während die Praxispartner die «Frontsicht» aus ihrem Alltag einfliessen lassen – sei dies aus Sicht der jungen Erwachsenen, sei dies aus jener der Gemeinden, Kantone oder Wirtschaft. Dies ist ein «Rezept» für Forschende, um aus dem berühmt-berüchtigten Elfenbeinturm zu entfliehen. Besonders wichtig ist es, kritische und innovative Expertinnen und Experten aus der Praxis mit einzubeziehen, die zum einen als Impulsgebende konstruktiv mitarbeiten und zum anderen die Rolle des «Advocatus Diaboli» wahrnehmen. Die Kombination beider Seiten hat sich in diesem Projekt nicht nur als qualitätssichernd, sondern auch in der Ideen- und Massnahmenentwicklung als äusserst befruchtend erwiesen.

Das Projekt PROMO 35 wird von der Gebert Rüf Stiftung unterstützt. Die Projektleitung liegt bei der FH Graubünden. Der Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) ist als Praxispartner am Projekt beteiligt und leistet inhaltliche Mit- und Unterstützungsarbeit. Weitere Projektpartner sind der Schweizerische Gemeindeverband, die Gemeindeämter bzw. -abteilungen der Kantone Zürich, Aargau und Graubünden, der Gemeindepräsidentenverband Kanton Zürich, der Verein Zürcher Gemeindeschreiber und Verwaltungsfachleute, die Gemeindeammänner-Vereinigung des Kantons Aargau sowie economiesuisse. Das Online-Tool und der Leitfaden mit über 80 Massnahmen zur Nachwuchsförderung in der Gemeindeexekutive ist zu finden unter promo35.ch.