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Ein Gedankenspaziergang zwischen Landwirtschaft und Tourismus

04. Dezember 2018

Eine Kolumne aus dem Bündner Bauer (Nr. 47: S. 23–24) von Werner Hediger, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung HTW Chur

«Essen Sie bei uns, sonst verhungern wir beide», so wirbt der Wirt eines Berggasthauses mit einem Schild am Parkplatz im Tal um seine Gäste. Sie sollen sich bei ihm verköstigen. Dann haben er und seine Familie ein Einkommen und die Wanderer und Spaziergänger keinen Hunger mehr. Und sie haben erst noch ein gutes Gefühl. Erstens haben sie mit ihrem Spaziergang oder ihrer Wanderung etwas für die Gesundheit getan. Zweitens haben sie etwas für die lokale Bevölkerung, sprich den Gastwirt und die Bauernfamilien, getan. Aber woher kommen die Nahrungsmittel und Getränke, die der Gastwirt dort oben anbietet?

Wenn ich einen Laden mit dem Namen «Local» betrete, dann erwarte ich, wie vermutlich die meisten von Ihnen auch, dort Produkte kaufen zu können, die aus der Region stammen. Wenn ich in einem solchen Laden im Schweizer Mittelland dann aber als erstes Kräuter aus dem Puschlav und Wein aus dem Tessin erblicke, dann fühle ich mich sprichwörtlich im falschen Film, auch wenn das Fleisch aus der Region stammt und das Brot vor Ort gebacken wird. Zumindest wird aber die Herkunft der Produkte klar deklariert. Lese ich in einem Restaurant, dass alle Fleischspezialitäten aus der Schweiz bezogen werden und finde auf der Speisekarte dann ein südafrikanisches Straussensteak und ein argentinisches Rindsfilet, dann staune ich, bevor mich ein Schmunzeln überkommt. Nicht, dass ich etwas gegen ein gutes importiertes Stück Fleisch hätte. Als Dozent in Handelsökonomie unterstreiche ich zu oft die Vorteile des internationalen Handels, von der auch lokale Produzenten profitieren können. Das Beispiel veranschaulicht aber auch etwas Wichtiges. Nicht die Herkunft aus der Schweizer Landwirtschaft wird deklariert, sondern die Rolle der Verarbeiter und Händler. Auch diese gehören, genauso wie die Landwirte, Hoteliers und Gastronomen zum agrotouristischen System.

Gehen wir zuletzt noch auf einen Bauernhof. Dort finden wir eine Vielfalt von Angeboten von Schlafen im Stroh oder rustikalen Zimmern bis hin zu Verpflegungsmöglichkeiten, Waren im Hofladen und Freizeitaktivitäten, die zum Teil in Zusammenarbeit mit Hotels oder Tourismusorganisationen angeboten werden. Hier lebt das Herz des Agrotourismus. Aber mit der kleinräumigen Struktur von Familien- und Gewerbebetrieben in der Schweiz, insbesondere im Berggebiet, erscheint eine arbeitsteilige Wirtschaft unabdingbar. So können alle sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und gemeinsam den erwünschten Mehrwert durch betriebs- und branchenübergreifende Zusammenarbeit realisieren.

Setzen wir uns zum Schluss auf unserem Spaziergang auf eine Bank am Waldrand, geniessen den schönen Ausblick, die Erinnerung an das gute Essen und machen uns wieder einmal bewusst, dass Landwirtschaft und Tourismus durch Nahrungsmittel, Kultur und Landschaft in vielfältiger Weise miteinander verbunden sind. Diese gilt es gemeinsam zu pflegen, zum Wohle aller.

Der «Bündner Bauer» publiziert einmal pro Monat eine Kolumne einer Persönlichkeit aus Kultur, Tourismus, Wirtschaft, Politik und Bildung. Mit dieser Aussensicht möchte der «Bündner Bauer» den Meinungsaustausch über die Landwirtschaft von innen nach aussen fördern.

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BILDQUELLE: © Valposchiavo Turismo - Foto: Roberto Moiola - www.valposchiavo.ch