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Die Schweizer Wasserkraft vor neuen Herausforderungen

27. November 2017

Die Wasserkraft ist ein wichtiger Pfeiler für das Schweizer Energiesystem und die Bergkantone. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramm NFP70 «Energiewende» befassen sich Forschende der Universitäten Basel und Genf, der HES-SO Wallis sowie der HTW Chur in drei aufeinander abgestimmten Projekten mit der Zukunft der Schweizer Wasserkraft. Diese steht aufgrund der aktuellen Marktsituation und zunehmender gesellschaftlicher Ansprüche vor grossen Herausforderungen. Wie kann die Rentabilität von Wasserkraftanlagen kurz- und langfristig gesteigert werden? Welchen Beitrag liefern diese zur nachhaltigen Entwicklung? Dies sind zwei der zentralen Fragen, mit denen Bund, Standortkantone und Kraftwerksbetreiber konfrontiert sind und mit denen sich unser nationales Forschungscluster beschäftigt.  

 

Flexibilität und Ungewissheit
Die Wasserkraft ist die wichtigste einheimische Energiequelle der Schweiz, und sie nimmt mit ihren Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke eine wichtige Funktion als «Batterie» in unserem Energiesystem ein. Dies soll im Rahmen der Energiestrategie 2050 des Bundes auch so bleiben. Zu diesem Zweck müssen sowohl bestehende Anlagen erneuert und ausgebaut als auch neue Wasserkraftwerke realisiert werden. Die Rentabilität der Wasserkraft ist aber über die letzten Jahre aufgrund der technologischen Weiterentwicklungen bei anderen erneuerbaren Energieträgern wie Sonne und Wind und aufgrund der aktuellen Entwicklung an den Energiemärkten beträchtlich gesunken. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen bezüglich der Flexibilität im Betrieb, die es erlauben soll, besser auf kurzfristige Schwankungen auf dem Strommarkt zu reagieren und so die Rentabilität zu steigern. Die neuen Herausforderungen betreffen aber auch den Umgang mit Ungewissheiten beim Ausbau der Wasserkraft.


Diesbezüglich verdeutlichen die aktuellen Erkenntnisse aus unserer laufenden Zusammenarbeit, dass sich im gegenwärtigen Marktumfeld mit tiefen Strompreisen kurzfristige Investitionen zur Steigerung der Flexibilität in der Wasserkraftnutzung nur sehr begrenzt ausbezahlen würden und somit in dem meisten Fällen nicht rentabel wären. Hingegen langfristig gesehen sind Investitionen in Wasserkraftwerke wegen der grossen Ungewissheiten über die zukünftige Entwicklung am Strommarkt und in der Politik mit hohen Risiken verbunden, insbesondere was grosse Pumpspeicherkraftwerke betrifft. Ein Teil dieser Risiken könnte durch eine passende Investitionsstrategie minimiert werden, indem mit anfänglich geringen Kraftwerkskapazitäten gestartet, zugleich aber die Möglichkeit für einen späteren Ausbau offengelassen wird.

 

Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung
Obschon neue Investitionen in die Wasserkraft aus rein ökonomischer Sicht mit hohen Risiken und unsicheren Renditen verbunden sind, bedeutet dies aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht zwingend, dass auf einen Ausbau der Wasserkraft verzichtet werden muss. Soll die Wasserkraft den für sie vorgesehenen Beitrag an die Energiestrategie 2050 leisten, so ist eine ganzheitliche Sicht gefordert. Dabei gilt es den Wert der Wasserkraft in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt aus einer umfassenden Perspektive zu berücksichtigen., Den Beitrag von Wasserkraftprojekten an die in der Bundesverfassung verankerte nachhaltige Entwicklung ist diesbezüglich ebenfalls miteinzubeziehen.


Eine umfassende Nachhaltigkeitsbeurteilung trägt diesem Anliegen Rechnung. Dabei gilt es die positiven und negativen Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft zu erfassen und aus gesellschaftlicher Sicht zu bewerten. Diese Bewertung kann in einem iterativen Vorgehen im Rahmen eines Stakeholderdialogs erfolgen, in dem die verschiedenen Anspruchsgruppen ihre Anliegen zum Ausdruck bringen können. Ein derartiges Vorgehen dient letztlich Investoren und Behörden bei der Beschaffung von Entscheidungsgrundlagen. Zugleich liefert es den Kraftwerksbetreibern eine Bewertung ihres eigenen Beitrags an die Gesellschaft (corporate social responsibility), welcher über reine Finanzkennzahlen hinausgeht.


Inwiefern sich Investitionen in Wasserkraftanlagen rentieren hängt mitunter von der Betrachtungsweise ab. Werden nicht nur die Investitionskosten und die möglichen Erträge aus der Stromproduktion, sondern auch deren Wirkungen auf Regionalwirtschaft, Gesellschaft und Umwelt miteinbezogen, so ergibt sich mitunter ein anderes Bild. Bei einer derartigen Betrachtung aus kapitaltheoretischer und wohlfahrtsökonomischer Sicht ist der Gesamtwert – bestehend aus erwarteten zukünftigen Gewinnen, Wasserzinsen und Steuern sowie den zusätzlichen Nettonutzen in den Bereichen Volkswirtschaft, Gesellschaft und Umwelt – zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund sollte ein Projekt dann bereits realisiert werden, wenn der erwähnte Gesamtwert positiv ist, auch wenn die Rentabilität aus finanzieller Sicht negativ sein sollte.

 

Weiterführende Forschungsfragen
Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht nur die Frage nach der zukünftigen Entwicklung der Strompreise und der Ausgestaltung der Wasserzinsen und der Konzessionen. Auch deren Auswirkungen auf die Finanzflüsse zwischen den Kantonen und die finanzielle Situation in den Wasserkraftgemeinden sowie die Eigentumsverhältnisse bei den Energieunternehmen und die Rolle von Bund und der Kantone sind zu thematisieren. Diese Fragen werden wir im kommenden Jahr gemeinsam mit unseren Partnern der Universitäten Basel und Genf sowie neu der ZHAW Winterthur und der ETH Zürich vertieft untersuchen.


Das Ziel des an der HTW Chur durchgeführten Teilprojekts besteht in einer umfassenden Nachhaltigkeitsbeurteilung und der Analyse der regionalwirtschaftlichen Auswirkungen von Wasserkraftanlagen unter verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Resultate sollen anderen Forschenden sowie privaten und öffentlichen Entscheidungsträgern zukommen und letztlich dem Erreichen der Ziele der Energiestrategie 2050 und einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

 

Weitere Informationen
Eintrag in der Projektdatenbank des SNF
Subprojekt der HTW Chur
Zwischenbericht (auf Englisch)

Weitere Auskünfte

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