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Raumplanung und Siedlungsentwicklung: Forschung für den Kanton
Raumplanung und Siedlungsentwicklung: Forschen für den Kanton

Raumplanung und Siedlungsentwicklung: Forschen für den Kanton

Die Realisierung eines Campus für die FH Graubünden ist ein Geschenk der Bündner Bevölkerung an die Fachhochschule. Diese kann im Gegenzug dem Kanton und der Bevölkerung mit ihrer angewandten Forschung auch etwas zurückgeben – einer Forschung, die gemeinsam mit Betroffenen Themen aufgreift, dort wo der Schuh drückt. Ein Beispiel dafür ist das Projekt EVA, ein empirischer Verdichtungsansatz im Bereich Raumplanung und Siedlungsentwicklung.

Text: Christine Seidler / Bild: FH Graubünden / Illustration: Claudio Galli

Als agile Hochschule setzt die FH Graubünden auf dynamisches Denken und proaktives Handeln. Mit diesem Mindset gestaltet sie die Zukunft mutig und nachhaltig mit. Die Realisierung eines Fachhochschulzentrums ist entsprechend für den Kanton Graubünden aus bildungs-, forschungs- und innovationspolitischer Sicht von hoher Bedeutung. Der Mangel an Fachkräften, insbesondere in den technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen, erschwert vielen Bündner Unternehmen eine innovative Entwicklung. In diesem wirtschaftlich anspruchsvollen Umfeld ist die FH Graubünden eine wichtige Akteurin, um junge Leute auszubilden, zu fördern und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Bündner Volkswirtschaft zu stärken. Eine in der Region verwurzelte Fachhochschule trägt entsprechend dazu bei, eine attraktive und qualitativ hochstehende Ausbildung zu gewährleisten.

Ein Geben und Nehmen

Aber nicht nur – die Hochschule profitiert mit der Realisierung des Fachhochschulzentrums, das durch die Bevölkerung und die Behörden ermöglicht wird, auch für die eigene strategische Entwicklung. Der neue Campus ist ein Geschenk der Bevölkerung an die Hochschule. Ein Geschenk, das im Gegenzug auch die Wahrnehmung von Verantwortung beinhaltet. Diese kann die Fachhochschule beispielsweise durch angewandte Forschung übernehmen. Eine Forschung, die pragmatisch und praxisbezogen Themen angeht, die dem Kanton, den Gemeinden und Betroffenen aus der Bevölkerung Bauchschmerzen bereiten. Eine Forschung, die gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen entwickelt, da wo der Schuh drückt – beispielsweise in der Raumplanung und Siedlungsentwicklung.

Durch die zunehmende «Verstädterung» werden immer mehr räumliche Disparitäten erkennbar.

Herausforderung Kanton Graubünden

Im Zusammenhang mit einer zunehmenden «Verstädterung» und dem Abzug der Wirtschaftskraft in die Zentrumsgebiete werden immer mehr räumliche Disparitäten erkennbar. Diese kann man als ein Entstehen starker, regionaler Ungleichheiten umschreiben. Insbesondere Ungleichheiten in der Finanz- und Wirtschaftskraft werden verschärft und generieren eben diese Ungleichheiten. Regionalräumliche Disparitäten äussern sich in zunehmend unterschiedlichen Lebensbedingungen sowie in ungleichen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die Schweiz wird dadurch in strukturstarke und strukturschwache Regionen gesplittet. Die häufigste Reaktion strukturschwacher Gemeinden und Regionen ist eine Fokussierung auf Wachstum. Die belastende Strukturschwäche wird als Manko empfunden, die vermeintliche Lösung des Wachstums durch Baukonjunktur am Leben gehalten. Dies hilft zwar kurzfristig, verschärft das Problem langfristig jedoch eminent. Mögliche weitere tiefgreifende Folgen davon sind etwa eine sich verschärfende Zweitwohnungsproblematik oder besorgniserregende Gemeindefinanzen, die aufgrund hoher Infrastrukturkosten und wenig Steuereinnahmen in Schieflage geraten. Aber auch Abwanderung, Überalterung, Verlust von Identität und die Sorge um eine Zukunft und wie diese vielversprechend und pragmatisch realisiert werden kann, sind mögliche Konsequenzen.

Ein Geschenk an die Bündner Bevölkerung und Gemeinden

Hier steht die Fachhochschule Graubünden mit ihrer Forschung und ihren Forschenden in der Pflicht. Das Forschungsfeld Raumplanung und Siedlungsentwicklung hat sich – fokussiert auf die brennenden Fragestellungen von Bündner Gemeinden – explizit dem Thema «Disparitäten Raumentwicklung Schweiz – Herausforderungen Raumplanung und Siedlungsentwicklung im alpinen Raum» angenommen. Und dies ganz im Sinne des Sprichwortes «Der Kopf ist rund, damit das Denken (in der Forschung die Schlüsselkompetenz) die Richtung ändern kann». Oder mit anderen Worten: Die aktuell sich abzeichnenden Schwierigkeiten und Problemstellungen resultieren mitunter auch aus Fehlentwicklungen und Fehlplanungen, deren Wurzeln in einem tief verankerten kulturellen Missverständnis fussen. Raumplanung wird oft nicht mit Städtebau, Landschaftsplanung und Architektur zusammengedacht – sie wird nicht interdisziplinär betrachtet. Partikularinteressen bestimmen nach wie vor das Baugeschehen und die Siedlungsentwicklung. Es existiert beispielsweise ein exorbitanter Anlagedruck, unter anderem aufgrund der Niedrigzinspolitik. Die Investition in Immobilien ist für viele, insbesondere institutionelle Anleger, der einzige Ausweg. Die Bautätigkeit ist entkoppelt von der Nachfrage. Diese Kumulation von Herausforderungen führt zu einem Vollzugsdefizit in der Raumplanung und stellt die Gemeinden kurz- und mittelfristig vor grosse Herausforderungen. Folgen davon sind etwa hohe Kosten für teure Infrastrukturen, die beispielsweise vorwiegend dem Tourismus dienen, bei gleichzeitig geringen Steuereinnahmen aufgrund geringer Wertschöpfung. Entsprechend ist ein Paradigmenwechsel und Umdenken in der Planungskultur indiziert. Oder, um den guten alten Einstein zu bemühen: «Wahnsinn ist: Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.»

EVA

Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team haben wir uns an der FH Graubünden im Rahmen eines Forschungsprojekts dieses Paradigmenwechsels respektive dieses Umdenkens angenommen. Wir haben eine neue Planungsmethode entwickelt, die einen komplett anderen Ansatz verfolgt als bisherige Planungsinstrumente und Methoden. Entstanden ist ein Planungsinstrument (basierend auf künstlicher Intelligenz), das seine Funktion dort zu entfalten vermag, wo komplexe räumliche Verflechtungen und Nutzungsansprüche bestehen und andere Planungsinstrumente an ihre Grenzen stossen. Um den Überblick in einer immer komplexer werdenden Welt zu wahren, ist eine übergeordnete Betrachtung zwingend nötig. Genau dies ist die Pionierleistung von EVA, dem empirischen Verdichtungsansatz, eine kontextuelle Sichtweise, in welcher der Mensch und seine Lebensbedingungen und Lebensqualität an erster Stelle stehen. Die Innovation an dieser Methode ist, dass sich EVA als dynamisches System begreift, das über einzelne Disziplinen hinweg und nicht nur aus einer Bau- und Planungsoptik die Innen- und Regionalentwicklung koordiniert, sondern sich nebst den quantitativen Kriterien insbesondere auch auf qualitative Kriterien ausrichtet – entlang orts- und fachspezifischer Fragestellungen. Für die Methode wurde im August 2022 das Patent angemeldet.

In diesem Sinne freuen sich Christine Seidler und ihr interdisziplinäres Team, mit der Anwendung von EVA Erkenntnisse und Ergebnisse aus der Forschung dem Kanton Graubünden, seinen Gemeinden und insbesondere seiner Bevölkerung zurückgeben zu dürfen. Mit dem empirischen Verdichtungsansatz möchte die Fachhochschule Graubünden einen Beitrag leisten zur Lösung relevanter Entwicklungsfragen und Herausforderungen.

Mehr zum Projekt: Empirischer Verdichtungsansatz (EVA) - FH Graubünden