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Wissensplatz
Ein Netzwerk fürs Leben

In Flurina Huonders Leben bilden verschiedene «Fäden» wertvolle Netzwerke. Bei ihrer Arbeit in der ETH-Bibliothek ist ihr die Crowdsourcing-Pflege eine Herzensangelegenheit – und ihre Muttersprache, das Rätoromanische, verbindet sie immer wieder mit neuen Menschen. Doch das «Netzwerk fürs Leben» hat die ehemalige Studierende der Fachhochschule Graubünden in der Studentenverbindung AV Curiensis gefunden.

Text und Bilder: Luzia Schmid

Flurina Huonders Büro liegt im zweitobersten Stock des ETH-Hauptgebäudes in Zürich. Seit 2018 ist die ehemalige Information-Science-Studentin der FH Graubünden im Bildarchiv der ETH-Bibliothek für das Metadatenmanagement zuständig. Blickt sie aus dem Fenster in der Dachschräge über ihrem Arbeitsplatz, sieht sie direkt auf die Kuppel des altehrwürdigen ETH-Gebäudes – diese ist in der Limmatstadt schon von weither zu sehen. Die Eidgenössische Technische Hochschule wollte mit der Erweiterung des Semperbaus durch diese imposante Kuppel (kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs) ihr erstarktes Selbstbewusstsein demonstrieren. Die Vergangenheit, die Geschichte und die Fotos, die diese Entwicklung erzählen, sind es denn auch, die es der 34-jährigen Bündnerin angetan haben. So ist denn auch das Crowdsourcing des Bildarchivs Flurina Huonders Herzensprojekt bei ihrer Arbeit.

Wissen von unschätzbarem Wert

Beim Crowdsourcing helfen aktuell rund 30 bis 40 Freiwillige mit, Bilder besser zu beschreiben. Jeden Montag werden im Crowdsourcing-Blog Fotos vorgestellt, zu denen wenig oder nichts bekannt ist. Freitags gibt es jeweils einen Blogpost zu interessanten Fotos, die in den Wochen zuvor von der Crowd bearbeitet worden sind. «Meist sind es Pensionierte, die sich in gewissen Themen sehr gut auskennen», sagt Huonder. Dabei komme Wissen zusammen, das ein Bildkatalog-Team niemals selbst generieren könne – «und wir bekommen eine unbezahlbare Expertise.» Das Team erhält monatlich bis zu 2000 E-Mails mit zusätzlichen Informationen zu den Bildern. Der Erfolg ist seit 2016 so gross, dass das ETH-Bildarchiv das Crowdsourcing immer weiter ausgebaut hat und die Metadaten zu den Bildern dadurch enorm verbessert werden konnten.

Flurina Huonder
Die Fotoalben von Walter Mittelholzer (Schweizer Luftfahrtpionier und Mitgründer der Swissair) befinden sich im Bildarchiv der ETH-Bibliothek.
Flurina Huonder
Ausgewählte Bestände des Bildarchivs werden in der Publikationsreihe «Bilderwelten» vorgestellt.

«Uns liegt diese Community sehr am Herzen», sagt Huonder. «Das ist ein tolles Netzwerk, das wir bewusst pflegen.» Um den Expertinnen und Experten seine Wertschätzung auszudrücken, organisiert das ETH-Bildarchiv jedes Jahr einen Event. «Im Laufe der Jahre sind so auch Freundschaften entstanden», freut sich Huonder.

Ihr Job an der ETH umfasst zwei Hauptaufgaben: die Bereinigung von Metadaten sowie die Erschliessung und Bereitstellung von Bildern. Dabei steigt Huonder jedoch nicht in den ETH-Keller hinab und sortiert alte Fotos in Kisten. «Ich arbeite mit riesigen Datensätzen», erklärt sie. «Excel-Listen mit Zehntausenden von Zeilen und den verschiedensten Formeln und Filtern sind keine Seltenheit.»

Ihr technisches Wissen kommt ihr zugute, wenn sie mit Entwickler:innen in Kontakt steht, etwa um neue Funktionen oder Tests für die Georeferenzierung von Bildern zu diskutieren. «Meine Arbeit ist extrem vielseitig und es kommen immer wieder neue Herausforderungen dazu.» So ist künstliche Intelligenz (KI) auch in ihrem Alltag aktuell ein Thema. Seit ungefähr zwei Jahren werden die Bilder zusätzlich mittels Autotagging beschlagwortet, wobei die Bildinhalte im Detail automatisch ausgelesen werden. «Diese Anwendungen sind mit Vorsicht zu geniessen. Aber es gibt auch coole Erkenntnisse.» So erkannte die KI bei einem Foto, das vom ETH-Team aufgrund der abgebildeten Situation nur mit «Feste» beschlagwortet worden war, dass es sich um die Aufnahme einer Hochzeit handelte, da Audrey Hepburn darauf ein Hochzeitskleid trug.

Muttersprache als Netzwerk

Das technische Handwerk hat Huonder bereits während ihrer ersten Ausbildung erlernt. Nach der Sekundarschule in Disentis hat sie bei Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR) – wo sie heute noch einen Tag pro Woche als Dokumentalistin arbeitet und Videos erschliesst – eine Lehre als Informatikerin absolviert. Schon mehr als ihr halbes Leben lang – seit sie mit 16 ihre Lehre dort begann – arbeitet die 34-Jährige mittlerweile bei RTR. «Es bedeutet mir sehr viel, dass ich meine Muttersprache auch im beruflichen Kontext anwenden kann», sagt Huonder, die in Segnas bei Disentis aufgewachsen ist, und schiebt gleich hinterher: «Wenn du aus der rätoromanischen Welt kommst, hast du automatisch ein Netzwerk.» Überall, wo man hinkomme, gehe es sehr schnell und man stehe neben jemandem, der auch Romanisch spricht. «Man findet sich irgendwie immer.»

Huonder hatte an der damaligen HTW Chur die Berufsmatura absolviert, mit dem Ziel, dort Multimedia Production zu studieren. An einer Informationsveranstaltung merkte sie aber, dass die Informationswissenschaften sie mehr interessierten. Besonders gut gefielen ihr im Studium das vielseitige Angebot und die kleinen Klassen. Auch Themen wie Datenbankmanagement oder Informationsmanagement und -vermittlung fand sie spannend. «Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Information richtig aufzubereiten, damit man sie wieder findet.» Schade an ihrer Ausbildung sei einzig gewesen, dass man nicht so sehr in die Tiefe gehen konnte. Um ihr Studium noch zu vertiefen, hängte Huonder an den Bachelor gleich noch einen Master of Business Administration mit der Vertiefung Information and Data Management an.

«Begegnung mit...» - Flurina Huonder
Flurina Huonder erzählt in der Alumni-Video-Serie, was ihr die Studentenverbindung bedeutet.

Freundschaften fürs Leben

Ein weiterer Grund, dass Huonder gleich weiterstudieren wollte, war die Studentenverbindung AV Curiensis – jenes Netzwerk, das sie seit Beginn ihres Studiums bis heute nie mehr losgelassen hat. «Diese Verbindung bedeutet mir sehr viel. Ich habe dort meinen Freund kennengelernt und meine besten Freundinnen gefunden.» Huonder bedauert es, dass sich nicht noch mehr Studierende für die Verbindung begeistern lassen. Im Gegenteil, es gebe immer noch viele Vorurteile. Gerne würde sie Interessierte zu einer Mitgliedschaft motivieren. «Wir unternehmen viel gemeinsam, besuchen Museen und Veranstaltungen, singen, reden und haben einen riesigen Zusammenhalt.» Huonder schätzt auch die vielen neuen Bekanntschaften mit Mitgliedern anderer Studentenverbindungen («Ich habe in zahlreichen Schweizer Städten Kontakte aufbauen können»), das jährliche Zentralfest mit jeweils 2000 bis 3000 Personen («Überall sieht man farbentragende Studierende») oder Reisen, die man gemeinsam unternimmt («Letztes Jahr waren wir in Rom und hatten eine Audienz beim Papst»). Die Studentenverbindung ist für die 34-Jährige seit zehn Jahren Freundschaft pur: «Da fühle ich mich zuhause».

Ausflug AV Curiensis
Ausflug im Appenzellerland mit Whiskydegustation
Aktivenwochenende AV Curiensis
Aktivenwochenende der Studentenvereinigung im Calfreisental
AV Curiensis Rom
Auf der Reise nach Rom hatten die Mitglieder der AV Curiensis eine Audienz beim Papst.
AV Curiensis Umzug Jubiläum
Umzug durch Chur anlässlich des 150 Jahre Jubiläums der AV Curiensis

Beitrag von

Luzia Schmid, Projektleiterin Hochschulkommunikation, Redaktionsleiterin