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Digitale Werkzeuge für analoge Architektur
Digitale Werkzeuge für analoge Architektur

Digitale Werkzeuge für analoge Architektur

Der digitale Wandel schreitet in der Architektur, vor allem in der Planung, rasant voran. Gezeichnet wird heute überall mit dem Computer. Building Information Modeling (BIM), also das Planen mithilfe einer die verschiedenen Berufsgattungen verbindenden Software, ist selbst in kleinen Büros zumindest ein Thema. In der Produktion ist der Holzbau bereits heute, vor allem in grösseren Produktionsstätten, stark digitalisiert. Doch gerade Architektur ist am Ende ein physisches Resultat und kein abstrakt digitales.

Text und Bilder: Daniel A. Walser

Die Digitalisierung ist heute in allen Architektur- und Planungsbüros ein zentraler Teil des Arbeitsalltags. Geplant und gezeichnet wird vor allem über den Computer, sei es in zwei Dimensionen oder auch dreidimensional – bis zum Einsatz von BIM. Hier gibt es weitreichende Unterschiede zwischen den verschiedenen Büros, aber auch den Persönlichkeiten der Planerinnen und Planer. Die Entwicklungen sind hier noch längst nicht abgeschlossen. Gerade im Bereich des gegenseitigen Vernetzens der involvierten Planerinnen und Planer passiert derzeit viel und auch kleine Büros setzen zunehmend BIM-Methoden ein. Vor allem öffentliche, aber auch private Bauherren fordern bereits heute hohe digitale und organisatorische Standards bei den Architekturbüros ein.

Aufgrund dieser Entwicklungen werden die Architekturstudierenden an der Fachhochschule Graubünden bereits im ersten Semester auf den Einsatz digitaler Arbeitsmittel vorbereitet. Nur wenn die jungen Architektinnen und Architekten die neuen Werkzeuge auch wirklich beherrschen, sind sie fähig, sich in den Büros einzubringen und mit aktuellem Wissen auch einen Beitrag für die zukünftige Entwicklung der Büros zu leisten.

Digitales Modell und das Projekt eines Turmes in Göschenen von Student Andri Höhn im Atelier Städtebau Herbstsemester 2020.

Ein digitales Projekt ist eine Abstraktion der analogen Welt

Die grossen Schwierigkeiten und Hürden liegen in der Übersetzung des digitalen Projekts in die reale, analoge Welt. Bauen ist noch immer stark handwerklich geprägt. Der Holzbau ist zwar bereits stark digitalisiert, doch sind die anderen Bauweisen – etwa die Arbeit des Baumeisters oder die Arbeitsgänge von Malerinnen, Gipsern oder Elektrikern – weiterhin handwerklich geprägt. Das wird wohl auch so bleiben. Auf grösseren Baustellen werden vermehrt einzelne Teilkomponenten wie zum Beispiel Bäder bereits in der Fabrik zusammengebaut und als Fertigelemente angeliefert und zusammengefügt. Die Vorfabrikation wird somit immer wichtiger.

An ihre Grenzen stossen die digitalen Modelle allerdings bei Sanierungen und Umbauten, die als Bauaufgaben immer wichtiger werden. Hier müssen viele Entscheidungen situativ vor Ort gefällt werden, weil nicht planbar ist, was sich hinter einer Schicht genau befindet und wie weitergearbeitet werden kann. Gerade bei komplexen Sanierungen machen BIM-Modelle oft wenig Sinn, da sie nicht genügend schnell auf die veränderten Situationen reagieren können. Die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Baustelle brauchen direkte Antworten, wie sie weiterarbeiten sollen. Es ist meist gar keine Zeit vorhanden, um ein digitales Modell zu generieren. Hier helfen Erfahrung und ein klares architektonisches Konzept, damit man weiss, wohin die Reise führen soll.

Strukturmodell des Immeuble Clarté in Genf von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, 1930-32. Modell: Student Reto Gmür 2016.
Strukturmodell des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt von Oswals Mathias Ungers, 1984, Modell: Student Stefan Obermayer 2017.

Der gute Bau als Ziel

Architektur steht schliesslich in der gebauten Realität und nicht im digitalen Raum. Ein digitales Modell kann nie alles erfassen, was einen Ort ausmacht. Daher ist es immer wieder notwendig, auch mit anderen Mitteln und Perspektivenwechseln das Geplante zu überprüfen. Dabei helfen einerseits beispielsweise ein Wechsel der Arbeitsmittel – wie Skizze und händisch gefertigtes Modell – und anderseits die Erfahrung und das Wissen, wie Architektur (mit ihren aktuellen, aber auch historischen Beispielen) in der Wirklichkeit auch «wirklich» funktioniert.

Es ist deshalb essenziell, mit den Studierenden die unterschiedlichsten Bauwerke vor Ort zu besuchen. Nur so ist es möglich, verständlich zu machen, wie Bauten im Strassenraum funktionieren und was sie bewirken. Sie müssen an der Realität gemessen werden und nicht an ihrem digitalen Modell. Die Studierenden lernen von der Wirklichkeit. Genauso wichtig sind Besuche auf Baustellen sowie Vorträge von Architektinnen und Architekten und anderen am Bau beteiligten Akteuren. Architektur und Bauen ist real und nicht abstrakt. Haltungen und Persönlichkeiten schaffen Raum und bilden einen soliden Boden für gute und intelligente Entwürfe.

Exkursion mit Bauingenieurstudierenden zu den Brücken von Christian Menn im Misox, Frühling 2019.
Besuch der Architekturbiennale in Venedig mit Architekturstudierenden. Schweizer Pavillon mit dem «Pop-corn» des Schweizer Architekten Christian Kerez, Venedig 2016.

Modell und Hand als Brücke zur Realität

Der Haldensteiner Architekt Peter Zumthor betont immer wieder, dass die Hand beim Entwerfen und Entwickeln eines Projekts ebenfalls mitdenkt. Das mag überspitzt klingen, doch hilft der Positionswechsel vom Klicken mit der Maus zum Zeichenstift oder Messer beim Bau eines Modells und bewirkt offenbar, dass der Kopf eine andere Perspektive auf die eigene Arbeit bekommt. Dies ist immer wieder befreiend, schafft Luft für neue Gedanken und öffnet die Augen, die dann auch erkennen, was man gerade entwickelt hat.

Zur Überprüfung von komplexen Zusammenhängen lohnt es sich, auch weiterhin Modelle zu bauen. Diese müssen keinesfalls perfekt sein. Der portugiesische Architekt Alvaro Siza beispielsweise benutzt seine Modelle wie Skizzen und überarbeitet sie mehrfach, trennt etwas ab oder fügt etwas hinzu und skizziert selbst auf den Modellen, um zu verstehen, was er gerade entwickelt.

Die Hand denkt mit. Architektinnen und Architekten entwickeln Bauwerke für die reale Welt. Trotz fortschreitender Digitalisierung bleibt dabei das haptische Arbeiten weiterhin wichtig. Die Digitalisierung ist eine Abstraktion und nie ein Abbild der konkreten Wirklichkeit. Zudem eröffnen die skizzierende Hand oder das physische Modell neue Möglichkeiten, die entwickelten Konzepte aus einer anderen Perspektive zu überprüfen. Die Digitalisierung in Kombination mit dem physischen Arbeiten schafft ein vielschichtiges Bild des zu entwerfenden Gebäudes.

Nur eine vielschichtige, sich gegenseitig ergänzende Entwurfsmethodik kann die verschiedenen Ebenen auch kontrollieren und überprüfen. Die einzelnen Methoden ergänzen und stimulieren sich gegenseitig. Es ist somit kein Wunder, dass gerade auch sehr ambitionierte Büros immer parallel mit digitalen und physischen Modellen arbeiten. Das Anregen der verschiedensten Sinne verschafft einen vielschichtigen Überblick über das zu entwerfende Gebäude. Die Fachhochschule Graubünden versucht in ihrer Ausbildung, den Studierenden einen breiten Koffer mit komplementären Arbeitsmethoden mitzugeben. So sind sie gewappnet, in der Berufswelt sicher bestehen zu können.

Diskussion zur Architektur in Graubünden in der Werkstatt in Chur, anlässlich er Ausstellung «Wenn Haltung Raum bildet. Jüngere Architektur aus Graubünden» in der Stadtgalerie Chur, 2013.
Vortrag von Alberto Veiga, Architekt der Erweiterung des Bündner Kunstmuseums 2014 in der Aula der FHGR.