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Verschmelzung von digitalen und analogen Lehr- und Lernformaten
Verschmelzung von digitalen und analogen Lehr- und Lernformaten für die Post-Corona Zeit

Verschmelzung von digitalen und analogen Lehr- und Lernformaten für die Post-Corona Zeit

Vor der Pandemie galt als Herausforderung für die Lehre die Digitalisierung. Für die Rückkehr in die Präsenzlehre nach der Corona-Zeit stellen sich für die Fachhochschule Graubünden neue Fragen: Welche Teile der digitalen Lehre sollen auch weiterhin in der Präsenzlehre Anwendung finden? Und welche Aspekte sollten berücksichtigt werden bei der Integration von analoger und digitaler Lehre? Dieser Beitrag zeigt, dass die Herausforderung eine Verschmelzung der beiden Formen sein wird.

Text: Bianka Lichtenberger / Bild und Grafiken: FH Graubünden

Auch wenn «digitale Lehre» bereits vor der Pandemiezeit keine unbekannte Grösse und ein erklärtes Ziel der FH Graubünden war, so bedeutete die abrupte Umstellung sowohl auf die reine digitale Lehre wie auch zwischenzeitlich auf die Form der hybriden Lehre seit März 2020 eine erhebliche Veränderung in Lehr- und Lerngewohnheiten. Nach mehr als einem Jahr „Online-Lehre“ stellen sich bei der Rückkehr in die Präsenzlehre nunmehr die umgekehrten Fragen:

  • Was können wir als positive Erfahrungen aus dem Online-Lehren und -Lernen für die Zeit nach Corona in die Präsenzlehre mitnehmen?
  • Welche neuen Möglichkeiten eröffnet die umfassende Präsenz digitaler Technologien für die analoge Lehre?
  • Welche Kompetenzen braucht es für Lehrende wie auch Lernende für einen digitalen Alltag (Digital Literacy)?

Vor Covid19 stand die Herausforderung der Digitalisierung der Lehr- und Lernformate im Vordergrund. In der Fachliteratur wurden dabei grundsätzlich drei Strategien unterschieden: 

  • Bei der sogenannten «Anreicherung» kommen digitale Elemente im traditionellen Lehrformat zum Einsatz (Beispiel: Vorführung eines Internet-Videos in der Vorlesung).
  • Bei der «Integration» sind digitale Bestandteile essenzieller und gleichwertiger Bestandteil des Formats (Beispiel: «Blended Learning», bei dem sich Online- und Präsenzangebote abwechseln).
  • Unter «Virtualisierung» wurden Lehrveranstaltungen verstanden, die komplett online durchgeführt werden.

Rückkehr ist keine Option

Die vor der Pandemie geführte Diskussion um die Digitalisierung der Lehr- und Lernformate unterscheidet sich dabei wesentlich von der aktuellen Herausforderung der Verschmelzung von Analogem und Digitalen. Nach fast einem Jahr digitaler Lehre, ist die Rückkehr zur alten Form der Präsenzlehre eigentlich keine Option mehr. Einige der positiven Erfahrungen in der Online-Lehre und beim Online-Lernen werden absehbar auch zukünftig wertvolle Bestandteile in der Präsenzlehre bleiben. Im Unterschied zu den Bemühungen zur stärkeren Nutzung von digitaler Lehre wird aber bei der Verschmelzung von analoger und digitaler Lehre nicht zwangsläufig eine Addition oder ein sequenzielles analoges bzw. digitales Lernen und Lehren verstanden. Naheliegender ist die Vereinigung von beiden Formen zu etwas neuartigem Ganzen, bei dem die Einzelteile nicht mehr als Einzelteile in Erscheinung treten bzw. wahrgenommen werden. Die Nutzung eines Video-Projektors anstatt eines Overhead- Projektors ist noch kein Angebot, das als «Verschmelzung» wahrgenommen wird. Auch in Blended-Learning-Szenarien, bei denen Online-Elemente phasenweise zum Einsatz kommen, gibt es deutliche Unterschiede zwischen der Online- und der Präsenzphase statt eines integrativ-gemischten analog-digital.

Im Vordergrund der Diskussion in der Hochschullandschaft über die «Verschmelzung von Analogem und Digitalem» stehen deshalb drei Aspekte beim Design von integrativ analog-digitalen Lehrformaten:  die Integration von analogen und digitalen Elementen und Methoden, die Rolle von Lehrenden und Lernenden sowie der Raum als Unterscheidungsmerkmal. 

Studierende werden aktiv eingebunden

Zu den Lehr- und Lernformaten, die sich für eine Verschmelzung von analog und digital anbieten, gehören neben dem Flipped bzw. Inverted Classroom hauptsächlich folgende Lehrformate: die E-Portfolio-Arbeit, die Communities of Practice, das Seamless Learning, das Lehrformat «Forschendes Lernen 2.0», Mobile Inquiry Based Learning, mobile Spiele und Simulationen, Remote- und Online-Labore, Virtual und Augmented Reality, Learning Logs zur Dokumentation/Begleitung von Vorlesungen, Nutzung von Lern-Apps der Hochschule, Nutzung von externen mobilen Lernangeboten, Einsatz von mobilen Audience-Response Systemen in der Vorlesung, mobile Applikationen als Werkzeuge im Präsenzseminar sowie Exkursionen mit mobilen Geräten. Bei jedem dieser Lehrformate werden Studierende aktiv bei der Nutzung digitaler Technologien eingebunden. Es ist also nicht alleine Lehrenden überlassen, digitale Elemente oder Werkzeuge in der Präsenzveranstaltung zu integrieren (siehe Abb. 1).

Bei jedem dieser Lehrformaten werden die Studierenden aktiv bei der Nutzung digitaler Technologien eingebunden.

Beim zweiten Aspekt zur Verschmelzung von analogem und digitalem Lehrformat handelt es sich weniger um die Form der verwendeten Medien und Technologien, sondern um den Charakter der Ausrichtung der Lehre. Dabei lassen sich Lehrverfahren als darbietend, erarbeitend und explorativ beschreiben und unterscheiden. Fast zwangsläufig verschiebt sich der Fokus des Lehrverfahrens bei der integrativen Berücksichtigung von analogen und digitalen Lehrelementen in Richtung exploratives Lehrverhalten. Wird eines der verschiedenen Lehrformate genutzt, ändert sich analog zum Lehrverfahren auch die Rolle der Lehrenden und Lernenden (siehe Abb. 2).

Je nach Lehrformat ändert sich die Rolle der Lehrenden und Lernenden.

Beim dritten Aspekt der Verschmelzung von Digitalem und Analogem wird der Raum, in dem sich die Beteiligten befinden, ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal (Beispiel: Teilnahme an einer Präsenzveranstaltung oder nicht). Die unterschiedlichen Lehr- und Lernformate können dabei zu drei Szenarien zusammengefasst werden (Abb. 3):

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal bei der Verschmelzung der Lehr- und Lernformate ist der Raum, in dem sich die Beteiligten befinden.

(a) Die Lehrenden und Studierenden nutzen ihre Geräte und ggf. das Internet in der Präsenz-Lehrveranstaltung; (b) die Lehrenden setzen auf Konzepte der Lehrveranstaltungen, bei denen analoge und digitale Lernelemente und Methoden zu einem verschmelzen oder (c) die Lehrenden und Studierenden nutzen ihre Geräte und ggf. das Internet außerhalb von Präsenzlehrveranstaltungen, etwa für die Kommunikation, die Dokumentation, die Planung oder sonstige Lern- bzw. Lehraktivitäten.

Annäherung an berufliche Praxis

Die erweiterte Diversität von Lehrformaten bei der Verschmelzung von analogen und digitalen Elementen bietet Vorteile und grosse Entwicklungschancen für die Qualität in der Lehre. Diverse Beispiele (siehe Anwendungsbeispiele in den Kästen) über verschmolzene Lehr- und Lernformate belegen, dass es gerade in der Kombination von analoger und digitaler Lehre beiläufig zu einer wesentlich höheren Annäherung an die berufliche Praxis kommt und die Entwicklung beruflicher und allgemeiner Kompetenzen unterstützen hilft. Darüber hinaus entwickeln Lehrende beim Einsatz der verschmolzenen Lehr- und Lernformate ihre didaktischen Kompetenzen in der Rolle als Lernbegleiter, aber auch zusätzliches Wissen und Kompetenzen, etwa zur Erstellung von Lernvideos.  Studierende wiederum erweitern ihre Kompetenzen in Bezug auf selbstorganisiertes Lernen, und nehmen eine aktivere Rolle im Lernprozess ein. Und schliesslich bieten die auf diese Weise erweiterten Lehr- und Lernformate neue Möglichkeiten des formativen Assessments.

Zwei internationale Anwendungsbeispiele:

Zwei internationale Anwendungsbeispiele:

Die Unterstützung des informellen Lernens mit dem NFC LearnTracker (Open University Netherlands)
Mobile Lernanwendung, die Lernende bei der Organisation ihres Lernens und insbesonders bei der Wahl ihrer Lernräume unterstützt, indem mit Near Field Communication (NFC) Ansätze des Internet of Things (Internet der Dinge) zum Einsatz kommen. Der NFC LearnTracker ist eine mobile App, die Lernende dabei unterstützt, Räume und Kontexte zu identifizieren und zu markieren, in denen sie erfolgreich gelernt haben. Gleichzeitig können mit der App Lernziele gesteckt und Pläne entworfen werden und die eigenen Lernfortschritte dargestellt und überprüft werden. Die App richtet sich insbesondere an sog. «Lifelong Learner», eignet sich aber ebenso für Studierende, die nicht über feste Lernräume verfügen.

Mit Hilfe von NFC-Aufklebern müssen, so das Konzept, konkrete Gegenstände bzw. Lernumgebungen markiert werden, beispielsweise ein Buch, das eigene Auto, eine Reisetasche, der Arbeitsplatz zu Hause und im Büro, das Sofa. Die jeweiligen Tags werden mit konkreten Lernaktivitäten verknüpft, beispielsweise «Podcast-Hören im Auto» oder «Vokabeltraining im öffentlichen Verkehr». Wird eine Aktivität gestartet, wird nur kurz der Tag eingelesen, zum Ende der Aktivität wird wieder mit dem Tag ausgecheckt. (vgl. YouTube-Video von Tabuenca, 2014)

Erstellung von Lernvideos von Studierenden für Studierende im Rahmen der Veranstaltung Lineare Algebra II (HFT Stuttgart)
Erweiterung einer regulären Vorlesung Lineare Algebra II im Rahmen eines Bachelorstudiengangs Mathematik (2. Semester) durch das Erstellen von Lernvideos durch die Studierenden. Hintergrund dieser Erweiterung war die Beobachtung der verantwortlichen Professorin Anke Pfeiffer, dass die Studierenden eher eng auf die Abschlussprüfung bezogen lernten. Das Lernen sollte hingegen über das ganze Semester verteilt werden. Auch wollte man etwas daran ändern, dass während der Vorlesung nur wenig Rückfragen und Diskussionen zustande kamen, man sah auch die hohe Durchfallquote, die vielen Abbrecherinnen und Abbrecher gegenüber nur beschränkten personellen Ressourcen. Dazu kam auch, so die Überlegung, mit dem Flipped-Classroom-Konzept zukünftig Teile des Vortrags aus der Vorlesung auszulagern, um Raum für mehr Diskussion und Interaktivität zu schaffen und dabei diese Produktion der Lernvideos nicht allein den Lehrenden zu überlassen (vgl auch: Lernvideos von Studierenden für Studierende)

Beitrag von

Prof. Dr. Bianka Lichtenberger, Leiterin Qualitätsmanagement und Hochschuldidaktik