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«Die Bauingenieurbranche wartet auf Nachwuchs»
«Die Bauingenieurbranche wartet sehnsüchtig auf Nachwuchs»

«Die Bauingenieurbranche wartet sehnsüchtig auf Nachwuchs»

Erich Montalta ist CEO eines der führenden Bauingenieurunternehmen in Graubünden. Die FH Graubünden ist ein wichtiger Partner für seine Firma, denn sie bildet die Leute aus, auf die man in der Branche sehnsüchtig wartet.

Text: Luzia Schmid / Bild: Luzia Schmid

Herr Montalta, wir stellen in dieser Ausgabe die Studierenden in den Mittelpunkt. Sie selbst haben auf dem zweiten Bildungsweg an der damaligen HTL Chur studiert. Was sind Ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen unseren Bauingenieurinnen bzw. Bauingenieuren und den ETH-Absolventinnen und -Absolventen?
Eine ETH-Absolventin bzw. ein ETH-Absolvent bringt eine breitere und fachlich tiefere Grundausbildung mit, während Fachhochschulabgänger/innen eher Praktiker/innen sind. Sie haben üblicherweise eine Zeichnerlehre gemacht, was ihnen in den ersten Berufsjahren Vorteile gegenüber den ETH-Absolventinnen und -Absolventen verschafft. Mit zunehmender Praxiserfahrung können Letztere diesen Nachteil jedoch kompensieren, was ihnen dank ihrer «fundierteren» Ausbildung einen Mehrwert bringt. Im Alltag haben beide Ausbildungstypen ihre Berechtigung. Wichtig für uns als Firma ist es, dass wir unsere Mitarbeitenden dort einsetzen, wo sie ihre Stärken besitzen – egal, welchen Abschluss sie mitbringen.

Ob ETH oder Fachhochschule: Gibt es genügend Bauingenieurinnen und Bauingenieure oder ist der Fachkräftemangel ein Thema?
Das ist ein riesiges Thema. Gerade bei uns in der Ingenieurbranche besteht ein akuter Fachkräftemangel. In unserem Unternehmen sind schweizweit 30 bis 40 Stellen offen, viele davon in Randregionen – auch in Graubünden. Der Arbeitsmarkt im Bauingenieursektor ist stark ausgetrocknet, was es sehr schwierig macht, erfahrenes Personal zu finden ‒ zumal jetzt auch noch sehr starke Jahrgänge ins Pensionsalter kommen. Wir sehen aber mit Genugtuung, dass wir wieder einen etwas besseren Zulauf von der ETH und den Fachhochschulen haben.

«Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir in der Region eine Fachhochschule mit starken Bachelorangeboten in Bauingenieurwesen und Architektur haben.»

Wie begegnet man diesem Problem?
Wir als AF Toscano AG positionieren uns als attraktive Arbeitgeberin. Wir fördern die Weiterbildung gezielt. Wir begleiten die jungen Ingenieurinnen und Ingenieure in den Projekten und holen so weit wie möglich das Know-how der erfahrenen Fachkräfte ab. Dieses versuchen wir dann an die Jungen weiterzuvermitteln. Natürlich wäre es einfacher, nur erfahrene Mitarbeitende einzusetzen, aber wir wollen unsere soziale Verantwortung wahrnehmen und junge Leute ausbilden. Leider herrscht in der Branche ein grosser Preisdruck, unter dem die besagte Förderung der Jungen in vielen Unternehmen zunehmend leidet. Man ist versucht, bei der Weiterbildung zu sparen, was verheerend für die Branche ist und zu einem Boomerang werden kann. Zudem sind auch die Fachhochschulen gefordert, ihren Teil an eine attraktive und qualitativ hochstehende Ausbildung zu leisten.

Wie meinen Sie das?
Die Fachhochschulen müssen das Ausbildungsniveau hoch halten. Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Entwicklung der letzten Jahre nicht nur förderlich für das Niveau war. So werden im Bauingenieur- und Architekturstudium in Chur teilweise Grundlagenfächer gemeinsam unterrichtet. Dies bringt den Vorteil des interdisziplinären Verständnisses mit sich, sollte sich aber nicht auf die Tiefe der mathematischen und fachtechnischen Grundausbildung auswirken. Sonst würde diese verwässert. Die Studienabsolventinnen und -absolventen benötigen eine fundierte Grundausbildung, auf der die Unternehmen in der Privatwirtschaft aufbauen können. Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir in der Region eine Fachhochschule mit starken Bachelorangeboten in Bauingenieurwesen und Architektur haben. Von ihr kommen die Fachleute, auf die wir sehnsüchtig warten.

«Die Fachhochschulen sind gefordert, ihren Teil an eine attraktive und qualitativ hochstehende Ausbildung zu leisten»

Was braucht es, damit die Studienabgängerinnen und -abgänger der FH Graubünden – die zukünftigen Bauingenieurinnen und Bauingenieure – gerüstet sind fürs Berufsleben im Kanton?
Die Bauingenieurtätigkeit basiert auf mathematischen und fachtechnischen Grundlagen sowie dem ingenieurmässigen, analytischen Denken. Ohne dieses Basiswissen ist es schwierig, den Ingenieurberuf auszuüben. Zudem benötigen Bauingenieurinnen und Bauingenieure auch ein vertieftes Wissen in den verschiedenen Fachrichtungen des Berufs. Die Statikerin muss zum Beispiel die materialtechnologischen Eigenschaften von Beton und Stahl kennen, der Strassenbauer hingegen die Grundlagen in Projektierung und Normierung. Wenn diese Grundlagen vorhanden sind, kann alles Weitere mit der Ausübung des Berufs in der Privatwirtschaft erlernt werden.

Wie sieht es mit den Frauen in Ihrer Branche aus? Mit Malin Frenning steht eine Frau an der Spitze des Verwaltungsrats Ihrer Firma. Weitere Frauen habe ich aber in der Geschäftsleitung und auch bei den Leitungen der Niederlassungen nicht gefunden.
Richtig, meine Chefin ist die einzige Frau in einem der höheren Führungsgremien der AF Toscano AG. Hier in der Schweiz ist es sehr schwierig, Frauen in technischen Berufen zu finden. Die gesamte Frauenquote in der AF Toscano AG liegt bei über 20 Prozent. Der Anteil der Ingenieurinnen ist hingegen viel kleiner und wie Sie richtig erkannt haben, beschäftigen wir auf Topmanagement-Stufe leider keine einzige Frau. Der Bauingenieurbranche gelingt es nicht, die Frauen für unseren attraktiven Beruf zu begeistern. Das zeigt auch die Quote der ETH- und Fachhochschulabgängerinnen, die mit nur rund 10 Prozent sehr gering ist. Das ist sehr schade, denn gerade die Frauen könnten helfen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Ist der Beruf vielleicht zu technisch?
Glaube ich nicht. Vielmehr ist aktuell die Bauingenieurbranche als Ganzes zu wenig attraktiv. Wir als Unternehmen verkaufen uns diesbezüglich viel zu schlecht. Wir hatten ohnehin lange Probleme, überhaupt Fachkräfte zu rekrutieren. Erst in den letzten Jahren finden wir wieder vermehrt junge Leute, leider aber nur wenige junge Frauen. Dabei gibt es in dieser Branche viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln ‒ und auch Teilzeitmodelle sind sehr gut umsetzbar.

Die FH Graubünden ist auf dem Weg zur Selbständigkeit. Was bedeutet dieser Schritt Ihrer Meinung nach für die Fachhochschule?
Ich sehe dies als Chance, um den Hochschulstandort Chur zu stärken. Ohne die Unterstützung der Politik wird das jedoch ein schwieriges Unterfangen. Insbesondere Bachelorangebote mit schwächeren Studierendenzahlen ‒ wie Bauingenieurwesen und Architektur ‒ brauchen diese Förderung. Der Kanton sollte diesbezüglich finanzielle Unterstützung bieten, so dass an der FH Graubünden auch weiterhin Studierende auf hohem Qualitätsniveau ausgebildet werden können, ohne Rücksicht auf eine Mindestzahl bei den Immatrikulierten nehmen zu müssen. Das wäre eine echte Wirtschaftsförderung im Kanton.

Sie haben selbst an der FH Graubünden studiert, 1998 ihr Studium als Bauingenieur abgeschlossen, 2003 noch einen Bachelor in Betriebsökonomie erworben. Denken Sie gerne an diese Zeit zurück?
Ja, sehr gerne. Ich durfte an der damaligen HTL eine sehr gute Zeit erleben und viele Menschen kennenlernen – Mitstudierende oder Dozierende, mit denen ich heute noch immer in diversen Konstellationen zusammenarbeite. Während meiner fünfjährigen Studienzeit arbeitete ich meistens zu 100 Prozent und ging abends dann zur HTL. Das war sehr zeitintensiv und anspruchsvoll.

Über Erich Montalta
Erich Montalta, Jahrgang 1970, machte eine Lehre als Tiefbauzeichner. Berufsbegleitend studierte er an der damaligen HTL Chur (Vorgängerinstitution der FH Graubünden) Bauingenieurwesen. Als Zusatzausbildung absolvierte er ein Nachdiplomstudium in Betriebsökonomie an der FH Graubünden. Nach einer Anstellung in einem Ingenieurbüro in Chur baute er die Pöyry Infra AG Graubünden zu einer Niederlassung mit 30 Angestellten aus. 2011 wechselte er zur damaligen Edy Toscano AG (heute AF Toscano AG). Dort wurde er Mitglied der Geschäftsleitung und übernahm 2013 deren Vorsitz.

Über AF Toscano AG
Die AF TOSCANO AG ist eines der führenden Ingenieur- und Planungsunternehmen in der Schweiz. Sie ist eine Tochtergesellschaft der schwedischen AF Pöyry AG. In Graubünden ist die Firma immer wieder in die Projektierung und Bauleitung wichtiger Bauprojekte involviert, etwa bei der Instandsetzung des Landwasserviadukts oder aktuell beim Neubau des Albulatunnels der RhB. Als schweizweites Leuchtturmprojekt der AF Toscano AG kann der Ceneri Basistunnel bezeichnet werden. Neben Infrastrukturprojekten ist die Firma auch in der Planung von Hoch- und Tiefbauprojekten tätig. Sie verfügt über 20 Niederlassungen in der Schweiz mit rund 400 Mitarbeitenden.

toscano.ch/

Bericht von

Luzia Schmid
zukünftige Projektleiterin Hochschulkommunikation, Rektorat