KI – mehr als ein Trend: Chancen, Herausforderungen und innovative Projekte

KI – mehr als ein Trend

KI – mehr als ein Trend

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde – von Staubsaugerrobotern bis hin zu komplexen Anwendungen in der Wirtschaft. Doch was steckt wirklich hinter dem Begriff? Dieser Artikel beleuchtet die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und zeigt auf, wie die FH Graubünden mit zukunftsweisenden Projekten und starken Kooperationen im Bereich der Künstlichen Intelligenz einen Beitrag leistet.

Text: Gion Sialm / Abbildung: FH Graubünden

Eine schnelle Internetrecherche zeigt: Die Definition von Künstlicher Intelligenz (KI) ist vielfältig. So beschreibt zum Beispiel eine US-amerikanische Definition KI als System, das auf Basis menschlicher Ziele Vorhersagen und Entscheidungen trifft. Auch das Cambridge Dictionary hält fest, dass KI-Maschinen Systeme sind, die bestimmte Eigenschaften des menschlichen Verstandes besitzen, wie etwa Sprachverständnis, Bilderkennung, Problemlösung und selbstständiges Lernen. Gemein ist diesen Definitionen, dass sie KI als Nachbildung menschlichen Verhaltens verstehen. Sie beziehen KI somit auf menschliche Verhaltensmuster, was zu Vergleichen mit dem Menschen und zu Ängsten gegenüber KI führt. Eine präzisere und in der Wissenschaft breit akzeptierte Definition von KI lautet deshalb: KI simuliert intelligentes Verhalten. Das bedeutet nicht, dass Maschinen wirklich intelligent sind, sondern lediglich, dass sie intelligentes Verhalten nachahmen. 

Simulation von intelligentem Verhalten

Viele Staubsaugerroboter nutzen heute KI, um Hindernisse zu erkennen. Roboter mit herkömmlichen Algorithmen verwenden meist Drucksensoren, die das Hindernis erst bei Kontakt feststellen können. Dies führt manchmal zu ungewollten Ergebnissen, wie etwa dem Öffnen von Kühltruhen oder dem Verheddern in Ladekabeln. Roboter mit KI hingegen erkennen Hindernisse über Kameras, ohne sie zu berühren. KI sorgt also für ein intelligenteres Verhalten als herkömmliche Technologien. Aber auch hier gilt das oben genannte Prinzip: KI-Systeme ahmen lediglich intelligentes Verhalten nach, sie sind jedoch nicht intelligent. 

Warum ist das so? KI-Systeme basieren, im Gegensatz zu herkömmlichen deterministischen Algorithmen, auf statistischen Verfahren. Bei deterministischen Algorithmen ist das Ergebnis immer gleich, wenn die Eingangsdaten gleich sind. Ganz anders bei statistischen Verfahren: Bei gleichem Eingang kann der Ausgang variieren. Man kann dies beim KI-basierten Chatbot ChatGPT gut beobachten, wenn man mehrmals dasselbe schreibt und das Ergebnis dann meistens unterschiedlich ist. Ferner gilt bei statistischen Verfahren, dass sie im Schnitt richtig liegen, nicht aber zwingend bei einzelnen Fällen. Vor diesem Hintergrund kann auch die Eingangsfrage, ob ein KI-System wirklich verstehen kann, beantwortet werden. Die Antwort lautet eindeutig «nein». Warum? 

Weil ChatGPT und andere KI-Modelle nicht darauf trainiert sind, Fragen zu stellen. Heisst: Sie liefern auch dann Antworten, wenn keine Antwort möglich ist, weil beispielsweise wichtige Informationen fehlen. Sie verstehen also nicht, was der Benutzer oder die Benutzerin sagt, sondern formulieren ihre Antworten lediglich mit den wahrscheinlichsten Worten. Daraus leiten sich die Grenzen von KI-Systemen ab. Die Aussagen von ChatGPT und Co sind immer mit Vorsicht zu geniessen, da sie falsch sein können, aber überzeugend klingen. 

Um in der Praxis zuverlässige Systeme basierend auf KI zu entwickeln, braucht es also viel Wissen und Geschick. Dies steht im Gegensatz zur landläufigen Meinung, dass KI-Projekte schnell und mit wenig Aufwand umgesetzt werden können. Zudem entfalten KI-Systeme ihr volles Potenzial vor allem in der Zusammenarbeit mit dem Menschen.

Von der Bildverarbeitung bis zur vorausschauenden Wartung

Nachdem geklärt ist, was KI ist, wie sie sich von herkömmlichen Algorithmen unterscheidet und wo ihre Grenzen liegen, stellt sich die Frage, wo KI überall eingesetzt wird oder werden kann. Ihre Einsatzgebiete unterscheiden sich nach Datenart. Es gibt drei Grundarten von Daten: Bilder, Sprache und Zeitreihen. Bilder und Sprache sind selbsterklärend. Zeitreihen sind zum Beispiel Preisentwicklungen an der Börse.

In der Bildverarbeitung wird KI eingesetzt, um Objekte zu erkennen. Dies ist wichtig – etwa für den oben genannten Staubsaugerroboter, für selbstfahrende Autos, das Erkennen von defekten Teilen und das Zählen von Passagierströmen in Bahnhöfen und Flughäfen. 

Auch im Sprachbereich gibt es viele Einsatzmöglichkeiten für KI. So können KI-Sprachmodelle zum Beispiel für das Triagieren von Meldungen oder bei der Beratung im Immobilien- und Tourismussektor (Buchung von Ferienarrangements), aber auch in der Hotellerie (Concierge-Service) eingesetzt werden. 

Weniger bekannt sind Anwendungen für Zeitreihendaten. So können beispielsweise Drücke bei Spritzgussmaschinen ausgewertet und defekte Teile frühzeitig erkannt werden. Dies nennt man in der Fachsprache «Predictive Maintenance» (vorausschauende Wartung). Dasselbe gilt für viele andere Messungen, zum Beispiel Temperaturmessungen von Motoren-, Turbinen- und Antriebsräderlagern bei Skiliften und Gondeln. Bei allen drei Datenarten könnten viele weitere Beispiele genannt werden.

Wie eine kleine Hochschule erfolgreich mithalten kann

Wie eine kleine Hochschule erfolgreich mithalten kann

KI hat also ein sehr breites Einsatzgebiet. Dies erfordert unter anderem ein profundes Wissen im Bereich der Hochleistungsrechner und hinsichtlich der Entwicklung skalierbarer Applikationen. Da stellt sich die Frage, wie sich die FH Graubünden als kleine Hochschule in solch einem riesigen Forschungs- und Anwendungsgebiet behaupten kann. Einerseits braucht es dafür Dozierende sowie Professorinnen und Professoren, die über ein langjähriges, fundiertes Wissen auf diesem Gebiet verfügen. Andererseits muss die Hochschule gut vernetzt sein. Deshalb pflegt sie Beziehungen mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), namentlich dem ETH AI Center und dem Institut für neuronales Lernen und intelligente Systeme. Aber auch mit dem Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und dem AI Lab der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) werden enge Kontakte gepflegt.

Wohin geht die Entwicklung?

Ein Blick in die Glaskugel ist immer schwierig. Tatsache ist, dass Venture-Kapitalisten nicht mehr Geld für die Entwicklung von Modellen wie ChatGPT investieren, sondern für konkrete Anwendungen, die ein reales Problem lösen. In der Forschung liegt das Augenmerk einerseits auf kleinen Modellen und andererseits auf der Minimierung des Trainingsaufwands. Hier hat China momentan die Nase vorne. Wer weiss, vielleicht gibt es, wie im Jahr 2017 mit dem Paper «Attention is all you need», wieder eine bahnbrechende Erfindung im KI-Bereich, die KI deutlich voranbringt. Es bleibt also spannend!

Projekte an der FH Graubünden – eine Auswahl

Projekte an der FH Graubünden – eine Auswahl

Entwicklung eines Sursilvan-Chatbots: Ziel ist es, einen Assistenten für das rätoromanische Idiom Sursilvan zu entwickeln. Die Herausforderung liegt dabei in den stark begrenzten Trainingsdaten. Während für Englisch Milliarden von Wörtern zur Verfügung stehen, gibt es für Sursilvan nur wenige Millionen. Deshalb sind neue Ansätze gefragt. Die FH Graubünden erarbeitet derzeit innovative Lösungen, die es erlauben, synthetische Daten mit hoher Qualität herzustellen.

Dialogbasiertes RAG (Retrieval-Augmented Generation): Hier wird gezielt in Dokumenten oder im Internet nach Informationen gesucht. Die Herausforderung besteht darin, Daten aus komplexen PDF-Dateien zu extrahieren. Ein PDF kann beispielsweise beliebig viele komplexe Tabellen enthalten, was ein einfaches Suchsystem an seine Grenzen bringt. Ausserdem kann auch das beste RAG-System nichts mit einer Eingabe wie beispielsweise «Mein Drucker funktioniert nicht!» anfangen. Der Grund: Es sind zu wenige Informationen vorhanden. Um das Problem einzugrenzen, sind gezielte Rückfragen an die Benutzerin bzw. den Benutzer notwendig. Hier kommt das dialogbasierte RAG-System zum Zuge, das in Bereichen wie Hotellerie und Kundencenter-Beratung eingesetzt werden kann.

Neurosymbolische Künstliche Intelligenz: Hier besteht das Ziel darin, die Voraussetzungen für die Entwicklung von Assistenten für hochkritische Anwendungen zu erfüllen – beispielsweise im Bereich Banking und Compliance, wo höchste Anforderungen an die Vertraulichkeit, die Verlässlichkeit und die Nachvollziehbarkeit bestehen. Das Projekt begegnet diesen Herausforderungen mit der Entwicklung eines KI-gestützten Assistenten für natürliche Sprache. Dieser beantwortet fachliche Anfragen, erstellt Compliance-Berichte und ermöglicht die Extraktion von entscheidungsrelevanten Informationen mittels Business Intelligence.

Beitrag von

Dr. Gion Sialm, Dozent, Institut für Data Analysis, Artificial Intelligence, Visualization und Simulation