Projekt

New Work Arbeitsmodelle für Kinderbetreuungspersonal

Projekt auf einen Blick

Projekt auf einen Blick

In der Welt der Kinderbetreuung sind die Anforderungen an das Personal ebenso vielfältig wie die Bedürfnisse der betreuten Kinder. Während Fachkräfte ihre Zeit und Energie in die Betreuung, Erziehung und Förderung von Kindern investieren, sind sie zugleich durch unregelmässige Arbeitszeiten, psychische Belastungen sowie niedrige Löhne gefordert. New-Work-Arbeitsmodelle bieten eine vielversprechende Lösung. Ein Pilotprojekt des Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung untersucht, wie solche Modelle in der Kinderbetreuung umgesetzt werden könnten.

Ausgangslage

Ausgangslage

Kinderbetreuungspersonen sind während der Öffnungszeiten von Kindertagesstätten (Kitas) und Horten vor Ort unentbehrlich – ihre Präsenz ist sowohl örtlich als auch zeitlich festgelegt, was die traditionellen Anstellungsmodelle in diesem Bereich in hohem Mass erklärt. Das Berufsbild ist zudem geprägt durch unregelmässige Arbeitszeiten, einen hohen Frauenanteil, physische und psychische Belastung und tiefe Löhne.

Gleichzeitig sieht sich die Kinderbetreuungsbranche – wie die restliche Wirtschaft – mit einem substanziellen Arbeits- und Fachkräftemangel konfrontiert. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Kinderbetreuungsbetriebe frei werdende Stellen zunehmend nur mit Mühe nachbesetzen können und das Halten des bestehenden Personals anspruchsvoll ist. Oftmals verlassen Fachkräfte bereits nach der Lehre den Beruf, oder sie steigen nach wenigen Jahren, beispielsweise nach einer Schwangerschaft, wieder aus. Zum anderen treten Mitarbeitende mit Blick auf die andernorts stattfindenden Änderungen in der Arbeitswelt mit neuen Forderungen an die Betriebe heran und stellen diese vor zusätzliche Herausforderungen.

Projektziel

Projektziel

Eine vielversprechende Möglichkeit, mit den neuen Gegebenheiten umzugehen, sind New-Work-Arbeitsmodelle. Dabei handelt es sich um alternative Arbeitsformen, die einerseits im Arbeitsumfeld Freiräume für Kreativität und persönliche Mitwirkung schaffen und andererseits neue Ansätze für die Vereinbarkeit von Beruf und anderen Lebensbereichen umfassen.

Zwei explorativ geprägte Pilotprojekte

Im Auftrag des Branchenverbands kibesuisse ging die FH Graubünden im Projekt «New-Work-Arbeitsmodelle für Kinderbetreuungspersonal» der Frage nach, wie Arbeitsmodelle im Kinderbetreuungsbereich ausgestaltet werden müssen, damit Fachpersonen auch künftig ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben können und wollen. Hierzu wurden zusammen mit dem Verein KITAWAS Kindertagesstätten, einem regional tätigen Kinderbetreuungsbetrieb, zunächst mögliche Stossrichtungen mit den Mitarbeitenden und dem Leitungspersonal partizipativ erarbeitet. In einem zweiten Schritt wurden ausgewählte Ansätze vertieft und so weit konzipiert, dass sie Ende 2024 als zwei Piloten in den Betriebs- und Betreuungsalltag des Praxispartners eingeführt werden konnten.
Beide Pilotprojekte forderten den Arbeitgeber dazu auf, Entscheidungskompetenz und – parallel dazu – Verantwortung an die Mitarbeitenden zu übertragen. An die Stelle zentralisierter Top-down-Entscheide traten selbstgesteuerte Entscheidungsprozesse auf Ebene der Mitarbeitenden. Dadurch stieg für die Mitarbeitenden die Mit- und Selbstbestimmung ihrer Arbeitsbedingungen, während sich das Unternehmen für ausgewählte Entscheide auf das Wissen und die Präferenzen der Basis – oder die kollektive Intelligenz der Gesamtorganisation – abstützen konnte.

Umsetzung

Umsetzung

Pilot 1: Selbstgeführte Verwendung des Lohnbonus

Wenn die Entscheidungsfindung dezentralisiert wird, stellt sich unter anderem die Frage, wer über Gehaltserhöhungen und Boni entscheidet. Beim Praxispartner war die Verteilung der Boni am Jahresende bisher Aufgabe der Geschäftsleitung und eine zunehmend unangenehme Angelegenheit, da ihr – etwa aufgrund der stark gestiegenen Anzahl Mitarbeitenden – nur wenige Fakten zur Entscheidungsfindung zur Verfügung standen. Daher wurde 2024 der Entscheid über die Verwendung der Boni erstmals den Mitarbeitenden übertragen. Ziel war es, den Mitarbeitenden in einem klar abgesteckten Rahmen erste Erfahrungen in selbstgeführten Teams zu ermöglichen und eine kollektive Entscheidungsfindung anzustossen.

Konkret erhielten alle Mitarbeitenden den Auftrag, über die Verwendung und Verteilung des Bonus in ihrem Team zu entscheiden. Als Hilfestellung wurde jedes Team mit einem Antwortblatt ausgestattet, das von allen Teammitgliedern unterschrieben an die Geschäftsstelle zu retournieren war. Zusätzlich erhielten die Teams Informationen über mögliche Wege der Entscheidungsfindung und konnten bei Bedarf eine freiwillige «Bonuskommission» aus der Mitte der Belegschaft beratend hinzuziehen.

Pilot 2: Selbstbestimmte Arbeitszeitmodelle

In der Reflexion der heutigen Arbeitssituation sah sich das Betreuungspersonal durch die örtliche und zeitliche Gebundenheit eingeengt. So kristallisierten sich die unflexible Arbeitszeit und fehlende Work-Life-Balance als zentrale Problemfelder heraus. Gleichzeitig wurde der Wunsch nach einer 4-Tage-Woche geäussert.

Der zweite Pilot fokussierte sich entsprechend auf ein 4-Tage-Modell an einem Kita-Standort. Das Betreuungspersonal hatte für 2025 die Wahl, ein halbes Jahr im herkömmlichen 5-Tage- oder im neuen 4-Tage-Modell zu arbeiten.

Für die Mitarbeitenden im 4-Tage-Modell wurde die orts- und zeitgebundene Arbeitszeit um eine Stunde pro Tag verlängert (Vollzeitpensum). In dieser Zeit sollte ausschliesslich direkte Betreuungsarbeit geleistet werden. Die verbleibende Arbeitszeit (rund 5 Stunden) stand für die sogenannte mittelbare pädagogische Arbeit (z. B. Dokumentationen, Vorbereitung von Betreuungseinheiten, Gespräche) zur Verfügung und konnte von den Mitarbeitenden bezüglich Zeit und Ort eigenständig gestaltet werden.

Resultate

Resultate

Pilot 1: Selbstgeführte Verwendung des Lohnbonus

Der Pilot zur selbstgeführten Verwendung des Lohnbonus 2024 zeigte eine hohe Zufriedenheit: 86 % der Mitarbeitenden gaben an, mit dem Bonus zufrieden zu sein.

Interessant ist, dass die Festlegung des Lohnbonus im Team zu anderen Ergebnissen führte als in den Vorjahren, als die Geschäftsleitung die Höhe der Boni beschloss: FaBe mit und ohne Leitungsfunktion erhielten im Durchschnitt tiefere Boni, während nicht ausgebildete Betreuungspersonen und Lernende höhere Boni bekamen. Insgesamt wurden erstmals alle Mitarbeitenden berücksichtigt, was in den Vorjahren nicht immer der Fall war.

Die Verteilung innerhalb der Teams erfolgte meist differenziert und orientierte sich an Faktoren wie Arbeitspensum, Anstellungsdauer, Ausbildung, Funktion, besonderen Leistungsnachweisen sowie Selbsteinschätzung und subjektivem Urteil. In einem Team wurde der Bonus gemeinschaftlich für einen Teamausflug verwendet.

Die Haltung der Mitarbeitenden gegenüber dem neuen Prozedere war ambivalent: Die eine Hälfte der Mitarbeitenden bewertete die selbstgeführte Verwendung des Lohnbonus positiv, die andere Hälfte als eher mühsam oder ungeeignet. Besonders geschätzt wurden die Mitbestimmung, der Lerneffekt, die Transparenz, das den Mitarbeitenden entgegengebrachte Vertrauen und die Anerkennung von Leistung. Kritisiert wurden die mangelnde Wertschätzung durch die Geschäftsleitung, wenn diese die Boni nicht selbst bestimmt, Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung und die Überforderung von Lernenden.

Pilot 2: Selbstbestimmte Arbeitszeitmodelle

Das 4-Tage-Modell stiess beim Kinderbetreuungspersonal auf grosses Interesse. Ausschlaggebend für die Wahl des Arbeitszeitmodells (4- oder 5-Tage-Woche) für die Pilotphase war jedoch nicht nur die persönliche Präferenz der Mitarbeitenden, sondern auch die Passung zu den individuellen Anstellungsbedingungen, Lebensphasen und Mitarbeitertypen.

Die ursprünglich geplante Trennung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Betreuungsarbeit erwies sich in der Praxis als herausfordernd. Die Übergänge zwischen den Tätigkeiten sind fliessend; eine vollständige zeitliche oder örtliche Abgrenzung ist weder immer möglich noch sinnvoll. Entsprechend wurde die Trennung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Arbeit gelockert. So kam es kaum vor, dass das Betreuungspersonal in seiner gesamten Arbeitszeit vor Ort ausschliesslich mit den Kindern arbeitete. Dennoch wurde die erforderliche Wochenarbeitszeit erreicht, indem u. a. zusätzliche Leitungsaufgaben übernommen oder durch einzelne Zusatzdienste Personalengpässe abgedeckt wurden.

Aus pädagogischer Sicht nannten die Betreuungspersonen mehrere Vorteile des 4-Tage-Modells. Durch die längeren Arbeitstage sei eine detailliertere Beobachtung und ausführlichere Dokumentation (Portfolioarbeit) möglich. Auch die Arbeit mit der Gruppe wird als intensiver erlebt. Ein weiterer Vorteil bestehe darin, dass viele Kinder über den gesamten Tag hinweg von derselben Bezugsperson begleitet würden. Dies fördere eine konstante und vertrauensvolle Beziehung zwischen Kind und Betreuungsperson.

Aus betrieblicher Perspektive bestanden die Vorteile des 4-Tage-Modells u. a. darin, dass die Anzahl Springereinsätze reduziert werden konnte. Die Mitarbeitenden im 4-Tage-Modell waren aufgrund des freien Tags flexibler, bei Personalengpässen einzuspringen.

Perspektivisch wird das neue Arbeitszeitmodell für FaBe ohne Leitungsfunktionen als Chance für ein attraktives und entwicklungsförderndes «Job Enrichment» erachtet: Im Vergleich zum konventionellen Arbeitszeitmodell müssen ihnen zusätzliche mittelbare pädagogische Arbeiten (insb. Portfolioarbeit, Elternarbeit und Ausbildungsverantwortung) delegiert werden, damit sie auf ein ausreichendes Soll kommen.

Herausfordernd war das 4-Tage-Modell bei gleichzeitiger Abwesenheit von Leitungspersonen, was insbesondere bei speziellen Vorfällen das übrige Betreuungspersonal stärker forderte. Zudem fand der Kontakt zwischen Ausbildungsverantwortlichen und Lernenden an weniger Tagen statt. Es brauchte zusätzliche Vorkehrungen, um die Ausbildungsqualität aufrechtzuerhalten.

Die gesammelten Erfahrungen weisen darauf hin, dass das 4-Tage-Woche-Arbeitsmodell insbesondere für folgende Mitarbeitendenprofile attraktiv sein kann:

  • FaBe mit Leitungsfunktion
  • FaBe mit Bereitschaft, zusätzliche administrative Tätigkeiten und/oder mittelbare pädagogische Arbeiten wie Eltern- und Portfolioarbeit sowie Ausbildungsverantwortung zu übernehmen
  • Arbeitspensum mind. 70 % (3-Tage-Woche)
  • Persönliche Eignung wie Flexibilität in Bezug auf (spontane) Arbeitseinsätze, Belastbarkeit, Flair für Planung und Organisation, Resilienz und Kenntnis der persönlichen Grenzen
  • Tätigkeit in der Kita, da sich die Betreuungszeit über den ganzen Tag erstreckt
Workshops

Workshops

Innovative Arbeitsmodelle gemeinsam gestalten

Wie können Arbeitsmodelle in Kitas, Schülerhorten und weiteren Betreuungsinstitutionen so gestaltet werden, dass sie attraktiv, flexibel und zukunftsfähig sind?
Der Design-Thinking-Workshop der FH Graubünden bietet Institutionen die Möglichkeit, partizipativ und praxisnah neue Arbeitsmodelle zu erarbeiten, um die Arbeitsrealität in ihrem Betrieb weiterzuentwickeln.

Was Sie erwartet

  1. Halbtägiger, praxisorientierter Workshop vor Ort mit Ihrem Team
  2. Gemeinsame Reflexion der aktuellen Arbeitsrealität
  3. Partizipative Entwicklung innovativer Ideen zur Arbeitsgestaltung
  4. Konkrete, auf Ihre Institution zugeschnittene New-Work-Vorschläge der FH Graubünden
  5. Unterstützung bei der Einführung und Umsetzung (Pilot)
  6. Gemeinsame strukturierte Reflexion des Pilots

Angebot

Variante 1: New Work kompakt (Schritte 1–3)
Einstieg ins Thema New Work. Design-Thinking-Workshop mit Fokus auf Ideengenerierung und Teamreflexion. Inklusive Workshop-Dokumentation.
Kosten: CHF 4 500*

Variante 2: New Work intensiv (Schritte 1–6)
Erste Schritte wie Variante 1. Zusätzlich vertiefte Ausarbeitung von passenden New-Work-Stossrichtungen durch die FH Graubünden. Unterstützung bei der (Pilot-)Einführung von New-Work-Ansätzen in Ihrem Betrieb. Strukturierte Reflexion der Pilotphase und weiterführende Handlungsempfehlungen.
Kosten: CHF 12 500*

*Richtwert. Gerne lassen wir Ihnen auf Anfrage eine auf Ihren Betrieb und Ihre Bedürfnisse angepasste, verbindliche Kostenofferte zukommen.

Zielgruppe

Leitungspersonen und Teams von Kitas, Schülerhorten oder anderen Institutionen der familienergänzenden Kinderbetreuung, die ihre Arbeitsrealität zukunftsfähig gestalten möchten.

Team

Team

Wissenschaftliche Projektleiterin
Kathrin Dinner
Dozentin, Wissenschaftliche Projektleiterin
Prof. Dr. Monika Engler Busa
Weiterführende Information

Weiterführende Information

Beteiligte

Das Projekt wird vom Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF) umgesetzt und vom Innovationsscheck und der Stiftung für Erforschung der Frauenarbeit in Auftrag gegeben.