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Umgang der (E-)Lehre mit unterschiedlichen Vorkenntnissen
Umgang der (E-)Lehre mit unterschiedlichen Vorkenntnissen

Umgang der (E-)Lehre mit unterschiedlichen Vorkenntnissen

Studierende bringen unterschiedlich ausgebildete Fertigkeiten wie Selbst-, Sozial- und Fachkompetenzen sowie Ausbildungshintergründe mit an die Fachhochschule.Vielfalt hat viele Anknüpfungspunkte und Dimensionen, die Innovation und Perspektiven ermöglichen. Für diesen Beitrag soll auf den Aspekt der unterschiedlichen Vorkenntnisse und Eingangskompetenzen eingegangen werden, der für die Hochschullehre einen wichtigen Stellenwert einnimmt.

Text: Judith Hüther / Bild: Aline Gsell, Boomers & Nitschke

Studierende an einer Fachhochschule sind nicht eine homogene «Masse», welche dem gewählten Studienprogramm entsprechend «geformt» werden kann. Jede Studentin, jeder Student bringt eine unterschiedliche Ausbildungs- und Berufsbiographie mit. Beim Umgang mit dieser Heterogenität kommt dem Handeln der Lehrperson eine zentrale Bedeutung zu. Diesbezüglich mehren sich wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Lehrkräfte teilweise grosse Schwierigkeiten im Umgang mit Heterogenität haben und sich nicht adäquat darauf vorbereitet fühlen. Hinzu kommen Rahmenbedingungen, die oft nicht viel Spielraum für eine individuelle Förderung und Weiterentwicklung persönlicher Stärken lassen. Eine Möglichkeit, die an der FH Graubünden bereits umgesetzt wird, ist die ergänzende Unterstützung individueller Lernwege durch E-Learning ‒ was zu einer intensiveren, individualisierten und handlungsorientierten (Projekt-)Arbeit in den Präsenzveranstaltungen führt.

Vielfalt: Von der Arbeitswelt gesucht, doch eine Herausforderung für die Didaktik

Alle Bestandsaufnahmen sind sich einig: Die Studierendenschaft ist in den vergangenen Jahren deutlich heterogener geworden an unseren Hochschulen. Sie studieren berufsbegleitend oder in Teilzeit, verfügen über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine Maturität und sind ganz unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft. Für die Arbeitswelt ist diese bunte Zusammensetzung von Hintergründen, Kompetenzen und Stärken ein immer wichtigerer Nachwuchs-Pool, eine Quelle für Innovation und Fortschritt. Das ist eine positive und politisch durchaus erwünschte Entwicklung – die jedoch auch zu neuen Herausforderungen in der Lehre führt.

Dimensionen der Vielfalt im Hochschulkontext

Zielgruppengerechte Lehre

Im Zentrum der Herausforderung steht die Anschlussfähigkeit des Lehrhandelns an die Voraussetzungen der Studierenden. Nach Weinert (1997) gibt es bei den Reaktionsarten auf die Heterogenität in der Lehre vier mögliche Ausprägungen: Das Ignorieren von Lern- und Leistungsunterschieden, die Anpassung der Studierenden an die Anforderungen des Unterrichts, die Anpassung des Unterrichts an die individuellen Lernvoraussetzungen der Studierenden und die gezielte Förderung der einzelnen Studierenden. Dabei ist eine Steigerung der Differenzierung und individuellen Förderung in der Aufzählung erkennbar. Durch geeignete didaktische Elemente kann der Heterogenität angemessen begegnet und Differenzierung ermöglicht werden. Dazu zählen: Diagnose individueller Lernstände und Lerndefizite, Schaffung verschiedener Zugänge zum Lerngegenstand, binnendifferenzierende und individualisierende Lernangebote und Unterrichtsformen, Förderung von eigenverantwortlichem, individuellem und kooperativem Lernen, die Lehrperson als adaptiver Coach und Lernberater/in, individuelle Leistungsrückmeldungen, besondere Förderung von leistungsschwachen und leistungsstarken Studierenden, Balance zwischen Fördern und Fordern, zwischen instruktionaler Steuerung und eigenverantwortlichem Lernen (nach Schreder, G. & Brömer, B., 2009).

Der FH Graubünden ist es ein Anliegen, diese Elemente in der Lehre umzusetzen. Dies hat zur Folge, dass daraus unterschiedliche Forderungen an die Aufgabenstellungen, die Studierende lösen sollen, resultieren. Gute Lernaufgaben sollten sich auf unterschiedlichen Niveaus lösen lassen, sind in heterogenen Gruppen sowohl für schwächere als auch für starke Studierende einsetzbar, besitzen Motivierungsqualität durch Authentizität, Alltagsbezug, Rätselcharakter, Humor, erlauben unterschiedliche Denk- und Lernwege, laden ein zu Exploration, Problemlösung und kooperativem, interaktivem Lernen und trainieren Problemlösungs- und Lernstrategien (vgl. Reusser, 2006).

Potenziale von E-Learning bei Heterogenität

«Jeder ist ein Genie! Aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.» (Albert Einstein)

Um unterschiedliches Vorwissen, persönliche Profile und Kompetenzen bei den Studierenden sichtbar zu machen und individuell zu fördern, kann die ergänzende Vorbereitung im Selbststudium mit Online-Aufgaben unterstützend wirken. Eine Mehrheit der Massnahmen, um Heterogenität zu begegnen, lässt sich hervorragend durch Online-Elemente umsetzen. Nach einer genauen Beschreibung der Lernziele kann mit einer Vorwissensaktivierung ‒ einer niederschwelligen und nicht zu umfangreichen Online-Aufgabenstellung ‒ begonnen werden. Sie dient dazu, die Studierenden auf das Thema einzustimmen und ihr Vorwissen zu aktivieren. Dies kann in Form von offenen Fragen erfolgen. Die Ergebnisse wiederum können den Lehrenden in kumulierter Form Auskunft über die Vorkenntnisse der Gruppe geben.

Nach diesem niederschwelligen Einstieg erfolgt eine detailliertere Diagnostik im Hinblick auf die Lernziele. Kurze Aufgaben mit Abgabefunktion oder Tests und die Verwendung verschiedener Fragetypen wie Multiple-Choice-Fragen, Lückentexte etc. sollen in diesem zweiten Schritt ein Assessment ermöglichen. Die Studierenden können so im Vorfeld feststellen, wo ihre Stärken im Hinblick auf die Lernziele liegen und wo evtl. Lücken im Vorwissen vorhanden sind. Hier ist unmittelbares Feedback eine zentrale Komponente. Es kann innerhalb der Tests hinterlegt sein und mit den Resultaten an die Studierenden zurückgemeldet oder individuell als Rückmeldung zu offenen Aufgabenstellungen gegeben werden. Ein Assessment dient den Studierenden als Hilfe für den weiteren Lernprozess.

Im nächsten Schritt, der Wissensvermittlung und -vertiefung, steht der Kernaspekt im Fokus. Entweder kann – je nach Thema – allen die gleiche Aufgabe gestellt werden mit der Aufforderung, individuell das fehlende Wissen aufzuarbeiten. Oder man erteilt den Studierenden den Rechercheauftrag, geeignetes Material zu den Lernzielen bzw. zu den von ihnen weniger gut beherrschten Themen zu finden. Zuletzt sollte eine Wissenskontrolle stattfinden. Diese kann wiederum in Form von Tests oder Online-Assessments erfolgen oder aber eine kreative Aufgabe sein, wie die Erstellung einer Mindmap oder einer Übersichtsgrafik, die dann in Moodle hochgeladen werden. Ohnehin sollten die Ergebnisse und Lernfortschritte in der folgenden Präsenzeinheit aufgegriffen werden: mit kumuliertem oder individuellem Feedback sowie Zusammenstellung von Inhalten, welche noch Vertiefung benötigen.

Die Lernplattform der FH Graubünden eignet sich gut für diesen Brückenschlag und die Verzahnung von Online- und Präsenzlehre sowie insgesamt für die zielgruppengerechte Lehre an der Bündner Fachhochschule. Das Blended Learning Center (BLC) bietet hierzu das nötige Know-how, Beispielmaterialien und individuelle Unterstützung bei der Umsetzung innovativer Lehr- und Lernmethoden. Die Rolle des BLC besteht darin, die Potenziale von E-Learning zu nutzen, um didaktischen Mehrwert zu generieren. Mit den Lehrenden der einzelnen Lehrveranstaltungen werden gemäss der zu erreichenden Lernziele konkrete Szenarien erarbeitet, implementiert und evaluiert. So kann der Heterogenität begegnet und zielgruppengerecht gelehrt werden.

Beitrag von

Judith Hüther
Leiterin Blended Learning Center, Prorektorat