Menu
Wissensplatz
Architekten und Bauingenieurinnen ziehen am gleichen Strick
Architekten und Bauingenieurinnen ziehen am gleichen Strick

Architekten und Bauingenieurinnen ziehen am gleichen Strick

Die Uraufgabe von Bauingenieurinnen und Architekten lautet: Bauen, Räume und Infrastrukturen schaffen und gestalten, Konstruktionen hierfür entwickeln. Sie bestimmen Materialien und Dimensionen und definieren die Bauprozesse, und zusätzlich sind sie noch Treuhänderinnen und Treuhänder der Bauherrschaft. Die beiden Bachelorstudiengänge Architektur und Bauingenieurwesen der FH Graubünden vermitteln den interdisziplinären Ansatz.

Text: Prof. Christian Auer / Bild: Ralph Feiner, FH Graubünden

Architektinnen und Architekten sind als Generalistinnen und Generalisten hauptsächlich mit Hochbauten beschäftigt. Sie entwerfen, planen, konstruieren, bauen und prägen damit unsere gebaute Umwelt. Als Fachpersonen für die Gestaltung von Objekten und Räumen geht ihre Arbeit aber weit über das einzelne Haus hinaus – in der Städteplanung, Raumplanung und Landschaftsarchitektur sind sie ebenso gefragt.

Bauingenieurinnen und Bauingenieure sind Spezialistinnen und Spezialisten für Bauwerke des Hoch-, Verkehrs-, Tief-, und Wasserbaus. Sie befassen sich mit der Konzeption, dem Entwurf, der Planung, der Herstellung und dem Betrieb dieser Bauwerke. Als Spezialistinnen und Spezialisten des Bauwesens dringt ihr Arbeitsfeld in viele weitere Fachgebiete vor: den Umweltschutz, den Lärmschutz, den Gewässer- und Bodenschutz u. a. m.

Heute hat sich die Arbeitsteilung bei der Planung und Umsetzung von Bauvorhaben so etabliert, dass bei Hochbauten der Architekt entwirft und plant, die Bauingenieurin jedoch die fachliche Führung bei allen statisch relevanten Bauteilen übernimmt. Umgekehrt leitet die Bauingenieurin die Bauwerke im Bereich der Infrastrukturen und des Tiefbaus. Und auch da hilft der Architekt immer dort, wo die Ingenieurbauwerke sichtbar sein und gestaltet werden sollen, z. B. beim anspruchsvollen Brückenbau.

 

Interdisziplinarität als Trumpf

Die komplexen Bauaufgaben von heute führen Architekten und Bauingenieurinnen immer mehr zusammen. So könnte der Architekt glauben, die Arbeit sei getan, nachdem der Entwurf alle Wünsche der Bauherrschaft erfüllt und die Behörde die Bewilligung zum Bau erteilt hat, die Finanzierung gesichert ist und die gestalterischen Visionen erkennbar werden. Doch da ist noch eine «Kleinigkeit»: Das Bauwerk soll auch so konstruiert und dimensioniert sein, dass die Anforderungen an seine lange Lebensdauer in puncto Statik, Wind- und Schneelasten, Erdbeben und Naturgefahren erfüllt sind – eben all das, was die Bauingenieurin leisten kann. Damit diese Arbeitsteilung funktionieren kann, ist es unerlässlich, dass Architekten und Bauingenieurinnen im Planungs- oder sogar im Entwurfsprozess so früh wie möglich zusammen arbeiten, denken und entwickeln. Es ist kaum ein Geheimnis, dass besonders erfolgreiche Architektinnen sich den Bauingenieur am besten gleich ins Büro holen und dass die gefragtesten Bauingenieurinnen ihre Projekte zusammen mit Architekten entwerfen – im Idealfall haben sie sogar eine interdisziplinäre Ausbildung in Architektur / im Bauingenieurwesen.

Die Analyse von Konkurado, einer Informationsplattform zu Architektur- und Ingenieurwettbewerben des öffentlichen und privaten Beschaffungswesens, zeigt es: «Oft sind es dieselben Bauingenieure, die in siegreichen Planerteams dabei sind. Wie kommt das? Architekten mit Weitblick schätzen das Ingenieurwissen. Erfolgreiche Bauingenieure interessieren sich für gestalterische Fragen. Beide verbinden in ihrem Schaffen die Welten der Architektur und des Konstruierens. Das setzt voraus, dass der Bauingenieur sich nicht als ‚Rechenknecht‘ des Architekten versteht und der Architekt den Zusammenhang zwischen Funktion und Form erkennt. Beide Berufsgruppen sind sich bewusst, dass sie einen wichtigen Beitrag an unseren gebauten Lebensraum leisten. Erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit setzt die Wertschätzung der jeweils anderen Disziplin als gleichwertig voraus» (Fischer, 2016).

 

Verleihung des Architekturtitels

Die FH Graubünden ist schweizweit die einzige Fachhochschule, die Architekten und Bauingenieurinnen gezielt interdisziplinär ausbildet. Neben dem bisherigen Bachelor of Science FHO in Civil Engineering wird die Bündner Fachhochschule ab diesem Herbst nach 16 Jahren wieder ein Architekturstudium mit eigenem Titel anbieten können: den Bachelor of Arts FHO in Architektur. Möglich wurde dies mit der Mutation der ehemaligen Fachhochschule Liechtenstein (die einen Architekturstudiengang anbot) zu einer Universität. Das damit freigewordene Architektur-Studium auf Fachhochschulebene wird von der FH Graubünden zusammen mit der FHS St. Gallen angeboten.

Die FH Graubünden hat langjährige Erfahrung, war doch Architektur eine der ersten Studiengänge in ihrer über 50-jährigen Geschichte. Diese wurde in den letzten 16 Jahren als anerkannte Architekturvertiefung weitergeführt. Darauf aufbauend, können nun die zwei stärker fokussierten Bachelorstudiengänge Architektur und Bauingenieurwesen angeboten werden, ohne die Einmaligkeit der Interdisziplinarität aufzugeben.

Der Bauprozess als Ganzes, die allgemeine Bauplanung sowie Fragestellungen zum Bauen im alpinen Raum spielen bei beiden Studien – Architektur und Bauingenieurwesen – eine wichtige Rolle. Diese Schnittpunkte werden betont, ohne die Kernkompetenzen der beiden Berufe zu verwischen. Die gemeinsame, interdisziplinäre Ausbildung wird von der Wirtschaft als innovativ bewertet.

Nebst der interdisziplinären Ausbildung fokussiert das Studienkonzept auf Bauen im alpinen Raum. Aufgrund der Lage der FH Graubünden inmitten der Alpen und der spezifischen Fragestellungen, mit welchen ein Bergkanton wie Graubünden konfrontiert ist, macht es Sinn, die praxisorientierten Projekte und Zielsetzungen auf den Alpenraum zu konzentrieren. In den Lehrplan sind deshalb spezielle Module integriert, die sich dem Bauen im alpinen Raum widmen. Das für das Bauwesen zukunftsweisende Thema der Nachhaltigkeit wird als Querschnittsthema über den ganzen Studienverlauf gesetzt.

Exkursion mit Studierenden in Saas zum Thema Naturgefahren.
Das Ateliergebäude bietet mit seiner Infrastruktur alle für das Architekturschaffen notwendigen Einrichtungen.

Lehren und Arbeiten im «Atelier»

Mit Ausnahme der Grundlagenmodule findet die gesamte Ausbildung während des Architekturstudiums im Ateliergebäude der FH Graubünden statt. Dieser Arbeitsbereich für Unterricht und gemeinsames sowie individuelles Arbeiten – sowohl planerisch als auch handwerklich – ermöglicht eine kreative Entwicklung und fördert die Sozialkompetenz. Das Ateliergebäude bietet mit seiner Infrastruktur alle für das Architekturschaffen notwendigen Einrichtungen.

Im Ateliergebäude integriert ist das Institut für Bauen im alpinen Raum (IBAR) mit seinen Dozierenden sowie den wissenschaftlichen und technischen Mitarbeitenden. Diese unmittelbare Nähe ermöglicht den Kontakt zwischen den Mitarbeitenden und Studierenden auch ausserhalb der Unterrichtszeiten.

 

Fachkräftemangel adieu

Im Graubünden gibt es einen Mangel an Architektinnen und Architekten, insbesondere im Bereich der Ausführungsplanung und Projektumsetzung. Aufgrund der Architekturausbildung in Vaduz, heute auf universitärer Stufe, wurde die eigentliche Architekturausbildung in Chur zurückgesetzt. Infolgedessen wichen Studierende auf andere Fachhochschulen aus und fehlen der Region heute als Arbeitskräfte. Die in der Schweiz unübliche Titelvergabe hat dazu geführt, dass das bisherige Churer Ausbildungsmodell kontrovers diskutiert wurde. Nebst der Ausbildungssituation sind die demographische Entwicklung und die überproportionale Anzahl an Bauaufgaben im Verhältnis zur Einwohnerzahl im Alpenraum zu beachten.

Ein wesentlicher Antrieb ist es, eine in der Region verortete Ausbildung zu stärken, denn Architektur ist immer auch regional. Ziel ist es daher, die Bündner Baukultur zu vermitteln, das alpine Bauen in den Fokus zu rücken und Architektinnen und Architekten auszubilden, welche die Spezifitäten der Region kennen und qualifiziert sind, hier zu arbeiten. Und wenn sie es hier können, können sie es überall. Ein wichtiger Aspekt ist dabei jener der Vernetzung: Was wir als Fachhochschule leisten können, ist – nebst der fachlichen Ausbildung – die Unterstützung der Studierenden beim Aufbau eines regionalen Netzwerks, das für Architekturschaffende entscheidend ist. Ferner ist es das Ziel, den Studierenden eine sehr praxisorientierte Ausbildung zu bieten und ihnen einen schnellen und reibungslosen Einstieg in die Arbeitswelt zu ermöglichen.