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Fachhochschulen schlagen Brücken
Fachhochschulen schlagen Brücken

Fachhochschulen schlagen Brücken

Anton Demarmels schaut auf mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in der Schweizer Maschinen- und Elektroindustrie-Branche zurück. Er ist Innovationsberater, Fachhochschul- und Hochschullandschaftskenner und im Herzen ein typischer Bündner. Und er weiss, was gute Qualität in der Forschung ausmacht.

Text: Petra Caviezel / Bild: Petra Caviezel

Petra Caviezel: Herr Demarmels, Sie sind Innovationsberater. Was sind Ihre Aufgaben?

Anton Demarmels: Wir bei Swissmem bieten Innovationsberatung als Dienstleistung für unsere Mitglieder – meist Klein- und Mittelunternehmen – an. Die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) ist grösstenteils exportorientiert und sehr wettbewerbsintensiv; deshalb ist Innovation notwendig zum Überleben. Erfolgreich Innovieren heisst für Unternehmen, regelmässig neues Wissen und moderne Technologien in neue Produkte einzubinden. Dieser Transfer braucht Zeit. Doch diese fehlt in kleinen Firmen meistens, da die wenigen Schlüsselpersonen durch das Tagesgeschäft absorbiert werden. Hier kommen wir Innovationsberater zum Zug. Wir identifizieren die geeigneten Partner für den Know-how- und Technologie-Transfer.

Sie vermitteln also Wissen und Technik an Firmen, die ein neues Produkt auf den Markt bringen möchten, das aber mit den eigenen Ressourcen nicht können?

Genau. Wenn Sie als Unternehmen ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung entwickeln, können Sie das entweder alleine tun oder Sie holen sich Wissen und Technologien von externen Partnern bzw. Anbietern. Handelt es sich um Technologien, die schon etabliert sind, die Sie selbst aber noch nicht haben, kaufen Sie diese bei einem privaten Anbieter, beispielsweise einem Ingenieurbüro. Das Ingenieurbüro ist mit der Technologie vertraut und liefert Ihnen das, was Sie brauchen, damit Sie mit dem neuen Produkt Geld verdienen. Benötigen Sie für die Innovation hingegen wenig Bekanntes oder Unsicheres wie unausgereifte oder noch nicht verfügbare Technologien, dann wenden Sie sich an einen Forschungspartner. Dieser entwickelt mit Ihnen gemeinsam, was Sie brauchen. Je grösser das Unbekannte, desto wichtiger ist die zugehörige Forschung, die wir Vor-Entwicklung nennen.

Und was genau ist Ihre Rolle dabei?

Wir Innovationsberater wissen, welche Angebote in der Schweiz aktuell verfügbar sind und wer deren Anbieter sind. Wir kennen die Fachhochschul- und Hochschulumgebung sowie die Instrumente, die vom Bund und von den Kantonen für die Forschungsförderung zur Verfügung gestellt werden. Unsere Aufgabe ist es, die Praktiker aus der Industrie mit den Forschungsverantwortlichen zu vernetzen. Wir sind Vermittler. Oder auch Dolmetscher. Wir verstehen die Sprache der Forschung & Entwicklung und können die Industriebedürfnisse so formulieren, dass sie für die Forschenden interessant sind. Umgekehrt erklären wir der Industrie die «Forschersprache».

Im Rahmen der Forschungsreviews des Schweizerischen Instituts für Entrepreneurship (SIFE) waren Sie als externer Reviewer im Einsatz. Was macht hohe Qualität in der Forschung für Sie aus?

Hohe Qualität in der Forschung heisst für mich gut definierter Erkenntnisgewinn – und dadurch Risikosenkung bei der Umsetzung. Durch gute Forschung wird der Stand der Technik in einem bestimmten Gebiet erweitert. Das generiert einerseits Erkenntnisgewinn, andererseits sinkt dabei auch das Risiko für die Anwenderinnen und Anwender. Aus Industriesicht ist es ausserdem relevant, dass Forschungsergebnisse einfach nachvollziehbar und wiederholbar sind. Es ist also wichtig, dass der Erkenntnisgewinn klar und deutlich beschrieben und – wann immer möglich – quantitativ definiert ist. So werden Risiken minimiert.

Was ist sonst noch wichtig?

Der Fokus. Die Forschenden sollen sich bei ihrer Zusammenarbeit mit der Industrie fokussiert mit der gewünschten Anwendung befassen. Wenn jemand vier, fünf Aspekte gleichzeitig verbessern möchte, funktioniert dies oft nicht, weil sich die Risiken potenzieren. Ebenfalls wichtig ist es, das vorhandene Wissen zu kennen und zu dokumentieren. Zwar ist dies keine eigentliche Forschungsarbeit, gehört aber definitiv zu den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Forschung. Wie bei einer Briefmarkensammlung zeigt der Überblick über das bereits vorhandene Wissen gut und treffend auf, welche Forschungsthemen wie intensiv bearbeitet werden müssen. In einer guten Forschungskultur schauen die Forschenden also erst einmal die «Briefmarkensammlung» an, bevor sie ein Forschungsprojekt starten.

«Wir sind der Ansicht, dass die FH Graubünden eine nationale Anerkennung als Forschungsstätte verdient.» Anton Demarmels, Innosuisse-Experte
Anton Demarmels auf der Durchreise.

Welche Bedeutung haben Forschungsarbeiten an Fachhochschulen generell?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Forschung soll keine direkte Produktentwicklung sein, das können private Anbieter – ich spreche da wieder aus Industriesicht – besser. Bei der Grundlagenforschung, die meist an den ETHs und Universitäten stattfindet, geht es um allgemeinen Erkenntnisgewinn, ohne direkten Bezug zur Umsetzung in der Praxis. Hier beginnen die Aufgaben der Fachhochschulen. Ihre essenzielle Rolle ist es, den Erkenntnisgewinn der Grundlagenforschung in die Praxis zu transferieren. Wir sprechen hier von angewandter Forschung. Die Schweizer Industrie hat einen erheblichen Wettbewerbsvorteil, weil es nirgends so gute Fachhochschulen gibt wie in der Schweiz. Die Leute an unseren Fachhochschulen haben Praxiserfahrung. Die meisten Forschungsverantwortlichen haben ihr Berufsleben nicht ausschliesslich in der Grundlagenforschung verbracht. Sie wissen, wie die Anwendung in der Praxis erfolgt. Sie sind in der Lage, das Grundlagenwissen sozusagen «vorzuverdauen». Deshalb sind sie für die Industrie bevorzugte Partner.

Das ergibt eine «Win-Win-Win-Situation». Die Auftraggeber minimieren ihr Entwicklungsrisiko, die Fachhochschule profitiert, weil sie die Erkenntnisse in die Lehre transferiert und davon profitieren auch die Studierenden.

Richtig. Und dieser gegenseitige Nutzen ist noch höher, wenn anwendungsnahe entwickelt wird. Ich finde es deshalb unverständlich, dass einige Fachhochschulen anstreben, Doktortitel zu vergeben. Folglich werden sie sich an der Grundlagenforschung orientieren und das heisst zwangsläufig, sich von der Praxis wegzubewegen. Man kann nicht gute Grundlagenforschung betreiben und gleichzeitig praxisnah sein.

Hier sind wir wieder bei der Bedeutung der Forschungsarbeit an Fachhochschulen.

Fachhochschulen sind für uns die ersten Ansprechpartner, wenn es um den Technologie- und Wissenstransfer geht. Grundlagenforschung hat einen kleinen Wert, wenn sie nicht umgesetzt – also in die Praxis transferiert – wird. Partnerin und Abnehmerin ist die Industrie, welche die Erkenntnisse in Produkte überführt, damit Geld verdient und Leute beschäftigt. Fachhochschulen sind die Brücke zwischen den Hochschulen und der Industrie, zwischen Grundlagenforschung und Praxisanwendung. Diese Brückenfunktion hat sich in der Schweiz sehr gut bewährt und trägt zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie bei.

Auf Basis des Reviews haben Sie eine Bewertung verfasst und Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung abgegeben. Wie kann sich die Forschung an der FH Graubünden weiterentwickeln?

Die FH Graubünden ist eine junge Hochschule, ohne eine generationsübergreifende Geschichte, auf der sie aufbauen könnte. Sie muss sich erst eine Reputation schaffen, und das dauert. Der Hauptfokus der Forschung am SIFE liegt momentan zu Recht auf den Bedürfnissen aus der Region. Weiterentwicklungen wären demnach Arbeiten mit nationaler oder sogar internationaler Ausstrahlung, was wir Reviewer sehr schätzen würden. Wir sind der Ansicht, dass die FH Graubünden eine nationale Anerkennung als Forschungsstätte verdient. Unsere erste Empfehlung dafür ist eine gewisse Fokussierung. Die FH Graubünden muss sich überlegen, worauf sie sich fokussieren oder spezialisieren möchte. Dazu – und dies ist die zweite Empfehlung – braucht es optimal eingesetzte Ressourcen und Partnerschaften. Forschungsteams bestehen meist aus Spezialistinnen und Spezialisten, nicht aus Allrounderinnen und Allroundern. Bei jedem Projekt gibt es unvermeidbare fachliche Lücken, die durch Partnerschaften «gefüllt» werden können. Wir haben der FH Graubünden deshalb empfohlen, gezielt Partnerschaften aufzubauen. Eine weitere wichtige Empfehlung ist, die Forschungsreputation zu sichern. Das heisst, die FH Graubünden muss regelmässig Fachartikel publizieren, um die Aufmerksamkeit in Fachkreisen zu erregen und um aufzuzeigen, was sie besonders gut macht und kann.

Wo sehen Sie Herausforderungen für die FH Graubünden?

In Bezug auf die Forschung sehe ich den Alleingang, den die FH Graubünden anstrebt, als grosse Herausforderung. Die Verwaltung wird einen Teil der Ressourcen beanspruchen, so dass weniger Mittel für Lehre und Forschung zur Verfügung stehen. Eigenständige Hochschulen müssen in der Lehre Mindestangebote erfüllen. Entsprechend könnten weniger Mittel für die Forschung und die nötige Fokussierung verfügbar sein. Eine weitere Herausforderung für die FH Graubünden – auch wieder bezüglich Ressourcen und Finanzen – sehe ich darin, gute Partnerschaften einzugehen. Wenn ich Einzelsportler bin, muss ich viel üben; mit entsprechendem Talent werde ich es bis an die Spitze schaffen. Wenn ich einen Mannschaftssport ausübe, kann ich mit weniger Talent dank guten Partnern erfolgreich sein. Forschung und Technologieentwicklung sind immer Teamarbeit. Die FH Graubünden braucht dafür gute Partner. Diese zu finden stelle ich mir für eine selbständige Hochschule schwieriger vor.

Herr Demarmels, sind Sie eigentlich Bündner?

Ich bin im Unterland aufgewachsen, habe die Freizeit während meiner ganzen Jugend jedoch bei Verwandten im Oberhalbstein und Oberland verbracht. Ich spreche etwas Romanisch und bin vom Wesen und vom Charakter her ein Bündner. Diese haben typischerweise einen harten Kopf. Ich sehe darin gewisse Parallelen zur FH Graubünden ...

Über Anton Demarmels

Anton Demarmels, Jahrgang 1955, wuchs im Kanton Zug auf. Sein Physikstudium an der ETH Zürich schloss er mit einer Dissertation in Kunststoffphysik ab. Seit 1983 ist er bei internationalen Swissmem Firmen tätig. Er hat Forschungsteams, Profitcenters und Geschäftsbereiche in der Elektrotechnik und im Maschinenbau in der Schweiz, in Deutschland und Italien geleitet und ist Präsident der Swissmem Forschungskommission. Seine Erfahrung nutzt er zudem als Innosuisse-Experte und im Rahmen der Start-up-Förderung bei genisuisse Aargau.

Über Swissmem

Swissmem ist der führende Verband für KMU und Grossfirmen der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) und verwandter technologieorientierter Branchen. Swissmem fördert die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit seiner rund 1100 Mitgliedfirmen durch wirkungsvolle Interessenvertretung, bedarfsgerechte Dienstleistungen, gezielte Vernetzung sowie eine arbeitsmarktgerechte Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden der MEM-Industrie.

Beitrag von

Petra Caviezel

Organisationsassistenz