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Alles nachhaltig?

Heute muss alles nachhaltig sein. Aber was bedeutet Nachhaltigkeit eigentlich? Was steckt dahinter?

22. November 2022

Eine Kolumne aus dem Bündner Bauer (Nr.46: S.25-26) von Werner Hediger, Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung FHGR

Der Begriff wurde vor gut 300 Jahren durch Hans Carl von Carlowitz mit seinem Prinzip für eine «nachhaltende» Nutzung der Wälder geprägt. Dabei ging es um mehr als den einfachen Gedanken, immer nur so viel Holz zu ernten, wie nachwachsen kann. Von Carlowitz‘ Sorge galt dem desolaten Zustand der Wälder sowie der Zukunft des in seiner Existenz bedrohten Bergbaus im Erzgebirge, dem wirtschaftlichen Rückgrat Sachsens. Der Grund dafür lag nicht in der Erschöpfung der Erzvorräte, sondern in der sich schnell verschärfenden Holzknappheit, war der Bergbau doch in vielfältiger Weise auf Holz angewiesen. Dies hatte zu einer «Holznot» geführt, die weite Teile Europas mit einer Energie- und Wirtschaftskrise bedrohte. Besonders betroffen waren Gegenden mit intensivem Mineralabbau und -verarbeitung oder Schiffbau.

Aber nicht nur die Industrie war vom drohenden Holzmangel betroffen. Holz war der wichtigste Rohstoff als Baumaterial und Energieträger. Von Carlowitz erkannte dies und machte Vorschläge für eine effizientere Holznutzung im Gebäude und Energiebereich sowie bei der Holzverkohlung. Zudem betonte er – wie auch der frühere französische Finanzminister Jean-Baptiste Colbert – die vielfältigen Waldfunktionen neben der Holzproduktion: die Erholungs-, Regulierungs- und Schutzfunktion der Wälder.

Nachhaltigkeit darf also nicht ausschliesslich als Ressourcenmanagementprinzip interpretiert werden, sondern muss im Kontext der jeweiligen Rohstoffbranche betrachtet werden. Da dieser Zusammenhang aufgrund zunehmender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verflechtungen immer komplexer wird, ist eine Abkehr vom linearen hin zu einem systemischen Denken erforderlich. Ein Beispiel dafür liefert die Möglichkeit der Torfgewinnung als Substitut für Holzkohle, welche von Carlowitz selbst untersuchte. Er berücksichtigte aber die Folgen für die Torfgebiete genauso wenig, wie die Begrenztheit der Erzvorkommen. Dennoch entwarf er ein fortschrittliches Konzept, das bei der Schlüsselressource Holz ansetzt und dem Ziel der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prosperität, also dem Wohl gegenwärtiger und nachfolgender Generationen, dient. Damit schuf von Carlowitz eine wesentliche Grundlage für das umfassendere Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, welches das Prinzip der Nachhaltigkeit in den erweiterten Rahmen von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung, technischem Fortschritt, institutionellen Veränderungen sowie funktionierenden Ökosystemen und begrenzten natürlichen Ressourcen stellt. Vor dem Hintergrund dieses umfassenden Konzepts dürfen einzelne Aktivitäten, wie die Herstellung von Gütern oder der Bau und Betrieb von Anlagen, nicht einfach als nachhaltig bezeichnet werden, wenn sie eine Verminderung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen ausweisen. Die zentrale Frage muss lauten: Welchen Beitrag leisten wir an eine nachhaltige Entwicklung – einem der obersten Ziele in unserer Bundesverfassung?

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