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Bilaterale Verträge sind für die Schweiz langfristig von grosser Bedeutung

03. Juni 2016

An einem hochkarätig besetzten Anlass an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur wurde deutlich, dass ein Wegfall der bilateralen Verträge einschliesslich einer Einschränkung der Personenfreizügigkeit zu spürbaren Wohlfahrtseinbussen für die Schweiz führen würde. Davon wäre das Rheintal als grenzüberschreitende Region besonders betroffen.


Am Donnerstagabend, 2. Juni 2016, fand der 9. Gesprächskreis zur Wirtschaftspolitik statt. Eingeladen hat das Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung ZWF der HTW Chur. Im Zentrum der Referate und Diskussionen stand die Frage, welche Bedeutung die bilateralen Verträge für die Unternehmen in der Schweiz und für die Wohlfahrt unseres Landes haben. Das Thema ist seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative äusserst aktuell. Denn die Bundespolitik ist gefordert, eine Anpassung der Freizügigkeitsabkommen mit der EU auszuhandeln. Würde die Schweiz das Freizügigkeitsabkommen ausser Kraft setzen, würden automatisch auch alle bilateralen Abkommen I wegfallen, d.h. auch die Vereinbarungen über technische Handelshemmnisse, das öffentliche Beschaffungswesen, den Land- und Luftverkehr, die Landwirtschaft und über die Forschung.


Schlechte Ausgangslage bei Wegfall der Bilateralen
Martin Eichler, Chefökonom der BAK Basel Economics AG, zeigte in seinen Ausführungen auf, dass sich bei einem Wegfall der bilateralen Verträge die langfristigen Verluste fast auf eine jährliche Wirtschaftsleistung kumulieren. Das Wachstum pro Kopf wäre dann um etwa einen Viertel tiefer als sonst zu erwarten ist. Das sei keine Katastrophe, aber die Schweiz bringt sich in eine schlechte Ausgangslage und dies in einer Zeit, in welcher die Anzahl der Erwerbstätigen in der Schweiz ohne Zuwanderung sinkt.


International tätige Unternehmen besonders betroffen
Heinrich Spoerry, Präsident des Verwaltungsrates der SFS Group und damit Vertreter einer Unternehmung aus der Region, führte aus, dass für seine stark exportorientierte Firma der Wegfall der Bilateralen gravierend wäre. Er wies auch darauf hin, dass eine allfällige Einschränkung der Personenfreizügigkeit den Standort im Rheintal bei der Personalrekrutierung stark behindern könnte, da SFS, mit Produktionsstandort in Heerbrugg, ansonsten bei der Rekrutierung in der grenzüberschreitenden Region stark behindert würde. Zusätzlich würde es auch schwieriger, Kaderleute aus der Schweiz in den Tochtergesellschaften in der EU einzusetzen. Bereits heute hat die SFS Projekte für den Ausbau des Schweizer Standorts aufs Eis gelegt, solange keine Klarheit über die Umsetzung der Initiative besteht.


Vorteile des bilateralen Wegs überwiegen
Im anschliessenden Podium wurde deutlich, dass v.a. die Personenfreizügigkeit und der Marktzutritt zur EU entscheidend sind. Patrik Schellenbauer von Avenir Suisse bezeichnete die Bilateralen Verträge als Königsweg, wobei er auch darauf hinwies, dass es wichtig ist, dafür zu sorgen, dass die Vorteile dieser Freizügigkeit möglichst allen zugutekommen. Eine Kontingentierung der Zuwanderung würde in einen internen Verteilkampf münden, bei dem die Gefahr besteht, dass damit, wie in der Vergangenheit, Strukturpolitik betrieben würde. Jean-Philippe Kohl von Swissmem unterstrich, dass die Schweiz heute einen privilegierten Marktzutritt zum EU-Binnenmarkt mit 500 Mio. Konsumentinnen und Konsumenten habe, welche nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Für bestimmt Unternehmen mit Produktion und Arbeitsplätze in der Schweiz sind die einzelnen Abkommen entscheidend, damit der EU-Markt von der Schweiz aus bedient werden kann.

Die Gegenposition nahm Florian Schwab, Journalist bei der Weltwoche, ein, der auf die Kosten der Bilateralen hinwies, welche unter anderem zu einem Regulierungsschub auch auf den Arbeitsmärkten geführt habe. Dem wurde jedoch von den Industrievertretern widersprochen. So seien in dieser Branche die Gesamtarbeitsverträge für die Unternehmen freiwillig und zudem bieten diese Unternehmen meist überdurchschnittlich gute Arbeitsbedingungen an. Im weiteren unterstrich Spoerry, dass die gelebte Sozialpartnerschaft ein Standortvorteil sei; gerade bei der Frankenkrise sei es so möglich gewesen, durch vorübergehende Arbeitszeitverlängerungen die schweren Zeiten ohne Arbeitsplatzverlust zu überstehen.


Das Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF) beschäftigt sich mit den Forschungsfeldern Arbeitsmarkt, Energieökonomie, Regionalentwicklung und Wirtschaftspolitik auf nationaler und regionaler Ebene. Zu letzterem gehören unter anderem Fragen der Integration der Schweiz in europäische und globale Märkte. So hat das ZWF kürzlich eine Studie zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit für die Region Rheintal (St. Galler Rheintal. Liechtenstein und Teile Vorarlbergs, siehe Download unten) im Auftrag der Liechtensteiner Regierung erstellt.
 

Bildlegende:
Podiumsdiskussion mit Florian Schwab, Patrik Schellenbauer, Heinrich Spoerry, Peter Moser (Moderation), Martin Eichler und Jean-Philippe Kohl. (v.l.n.r.)

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