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Bündner Landwirtschaft meistert Spagat

20. Januar 2016

Die Bündner Landwirte unterstützen die Versorgung der Bevölkerung, pflegen die Kulturlandschaft und erbringen dadurch u.a. auch einen wertvollen Dienst für den Tourismus. Diese Multifunktionalität der Landwirtschaft birgt auch Zielkonflikte in sich. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur diskutierten Experten, wie die Bündner Landwirtschaft den Spagat zwischen Versorgungssicherheit, Marktöffnung und Regionalentwicklung meistert.


Die Rahmenbedingungen für die Schweizer Agrarpolitik sind in der Bundesverfassung festgelegt. Demnach sorgt der Bund dafür, dass die Landwirtschaft mit einer nachhaltigen und auf den Markt ausgerichteten Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur sicheren Versorgung der Bevölkerung, zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Pflege der Kulturlandschaft sowie zur dezentralen Besiedlung des Landes. Dies unterstreicht einerseits die Multifunktionalität der Landwirtschaft, bringt aber auch Zielkonflikte und Fragen mit sich. Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft, Thomas Roffler, Präsident des Bündner Bauernverbands und Eugen Arpagaus, Leiter des Amts für Wirtschaft und Tourismus Graubünden diskutierten kürzlich an einem Podium den Nutzen der Landwirtschaftspolitik für den Bergkanton. Moderiert wurde die Diskussion von Werner Hediger, Leiter des Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung ZWF der HTW Chur (Dokumentation siehe Downloads unten).


Versorgungssicherheit vs. Öffnung der Agrar- und Lebensmittelmärkte
Als oberster Vertreter der Bündner Landwirte nannte Roffler die Landschaftspflege als wichtigste Aufgabe der Bäuerinnen und Bauern, welche auch dem Tourismus zugutekomme. Er betonte die Schwierigkeit der Multifunktionalität, da Landwirte abseits ihrer Kernaufgaben vermehrt zusätzliche Aufgaben, wie z.B. Vermarktung, erfüllen müssen. Das Ziel, die lokale Bevölkerung mit einheimischen Produkten zu versorgen, umschrieb er so: «Viehwirtschaft bedeutet, dass Gras in hochwertiges Eiweiss umgewandelt wird.»

Eine hohe Qualität der landwirtschaftlichen Produkte kann Auswirkungen einer Marktöffnung abmildern, da sich gute Qualität besser im Ausland verkaufen lässt, zeigt sich Roffler überzeugt. Er ist aber der Auffassung, dass eine Marktöffnung über eine längere Zeit und flankiert begleitet stattfinden muss. Der Bündner Amtsleiter Arpagaus betonte die Wichtigkeit einer besser organisierten Wertschöpfungskette bis hin zum Verkauf. Dies umfasst auch den Aufbau neuer Kommunikationskanäle mit Partnerorganisationen. Das Ziel der Marktöffnung ist ein besseres Fliessen der Ware, erläuterte Bundesdirektor Lehmann. So wird z.B. sehr guter Käse aus Frankreich in die Schweiz importiert und im Gegenzug kann spezieller Schweizer Käse in die EU exportiert werden.


Auswirkungen auf Bündner Regionalentwicklung
Grosse Chancen sieht Arpagaus in Kooperationen zwischen der Landwirtschaft und dem Tourismus. Diese basieren auf einer Vertrauensbeziehung und können nicht per Gesetz verordnet werden. Dabei argumentierte Arpagaus, dass Entwicklung im Kopf stattfindet, dies aber Zeit benötigt. Auf der anderen Seite sind Instrumente und finanzielle Mittel vorhanden, es muss aber ein Weg für die Umsetzung gefunden werden. Lehmann vertrat die Position, dass es Aufgabe und Ziel der Regionalentwicklung sei, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Dazu gehört auch, dass die Bürgerinnen und Bürger zahlungsfähig bleiben und dass die Mittel für das Ausrichten von Subventionen zuerst erwirtschaftet werden müssen. Wenn dies über den Verkauf von landwirtschaftlichen Waren zu einem adäquaten Preis im Ausland machbar ist, sollte dieser Weg unbedingt verfolgt werden. Roffler hielt dagegen, diese Entwicklung führe möglicherweise zu einer Zentralisierung. Genau die dezentrale Besiedlung ist aber ein Kernpunkt der Regionalentwicklung.


Einfluss der aktuellen Agrarpolitik auf Landwirte
Der Präsident des Bündner Bauernverbandes sieht eine Chance in der Tatsache, dass Agrarwirtschaft bis in höchste Lagen betrieben werden kann. Auf der anderen Seite steht das Berufsbild der jungen Landwirte, die Teil der qualitativ hochstehenden Versorgung der lokalen Einwohnerinnen und Einwohner sein wollen. Daher stehen sie einem zu grossen Exportanteil bei einer Marktöffnung eher kritisch gegenüber. Der Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft betonte, dass die Branche grundsätzlich vom Staat abhängig ist, dies aber auch ein «Klumpenrisiko» darstellen kann. Andererseits sieht er die Landwirte aber auch als innovative Unternehmerinnen und Unternehmer.

Allen Beteiligten ist klar, dass grosse Aufgaben auf sie zukommen, die sie im Rahmen der neuen Agrarpolitik in Angriff nehmen wollen. Trotzdem sind alle der Meinung, dass der Spagat zwischen Versorgungssicherheit, Marktöffnung und Regionalentwicklung für die Bündner Landwirte im Speziellen, aber auch generell für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern zu meistern sind.

Das Zentrum für wirtschaftspolitische Forschung ZWF beschäftigt sich mit den Forschungsfeldern Arbeitsmarkt, Energieökonomie, Regionalentwicklung und Wirtschaftspolitik auf nationaler und regionaler Ebene. Zu letzterem gehören unter anderem Fragen zu Tourismus und Landwirtschaft. Die Forschungsaktivitäten umfassen hier beispielsweise die marktgerechte Nutzung von Synergiepotentialen zwischen Biolandwirtschaft und Tourismus oder die Entwicklung der Wertschöpfung und Margen für Fleisch- und Milchprodukte sowie die Analyse von strategischen Möglichkeiten für deren Stärkung im Rahmen einer weiteren Liberalisierung des Agrar- und Lebensmittelmarktes.

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