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(K)eine Zukunft ohne Kooperation und Destinationsbildung?

01. Juni 2016

Graubünden – vor allem die Tourismus-Branche – soll am Abgrund stehen. Dem ist nicht so, den Herausforderungen kann begegnet werden. Eine Gotthard Destinations-Management-Organisation (DMO) würde die Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft von Andermatt, Disentis und Sedrun stärken. Diesen Schluss legen Forschungsergebnisse der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur nahe.
 
Alpine Regionen stärken ihre Resilienz gegenüber Umweltveränderungen, also ihre Anpassungsfähigkeit z.B. an den Klimawandel, und ihre wirtschaftliche Innovationskraft, in dem die Akteure und Akteurinnen in der Region mehr kooperieren. Kooperationen sollten zwischen allen Sektoren gestärkt werden, denn je diverser und flexibler ein soziales Netzwerk ist, wie etwa das einer Gemeinde,  desto resilienter ist es. Aktuelle Forschungsergebnisse des Instituts für Tourismus und Freizeit ITF der HTW Chur aus der Region Obere Surselva-Gotthard belegen, dass darüber hinaus Kooperationen von Gemeinden auf regionaler Ebene die Innovations- und Adaptionsfähigkeit der Regionen als Ganzes stärken können.
 
Der Zusammenschluss von Gemeinden auf regionaler Ebene, wie in diesem Beispiel von Disentis, Sedrun und Andermatt zu einer Gotthard DMO (Destinations-Management Organisation), würde die Resilienz der einzelnen Gemeinden stärken. Im Rahmen von sozialen Netzwerkanalysen wurden die Innovations- und Adaptionsfähigkeiten der drei Gemeinden mit der einer angedachten regionalen Gotthard DMO verglichen. Ein Zusammenschluss der Gemeinden zu einer Gotthard DMO würde die sozialen Netzwerke diverser gestalten, da die Zahl und Art der kooperierenden Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und öffentlichem Sektor in der Region bereits heute höher ist als in den einzelnen Gemeinden. Aus dieser grösseren Vielfalt von Beteiligten ergeben sich andere Möglichkeiten der Vernetzungen; diese führen nicht nur zu mehr Vielfalt, sondern auch zu mehr Flexibilität, denn je mehr Kooperationen ein Akteur/eine Akteurin hat, desto flexibler können diese aktiviert oder deaktiviert werden. Damit wird mehr Anpassung an Veränderungen möglich, aber auch mehr Innovation für die Entwicklung zukunftsfähiger Geschäftsideen und -modelle.

Hans-Kaspar Schwarzenbach, Geschäftsleiter von Sedrun Disentis Tourismus, ist überzeugt, dass eine verstärkte Kooperation für die Region sehr wertvoll wäre. «Sobald die Skiverbindung zwischen Andermatt und Sedrun fertiggestellt ist, besteht die Möglichkeit eines erneuten Versuchs für eine gemeinsame DMO. Ebenfalls wichtig wäre ein gemeinsames Sommerprodukt. Das Inclusive-Angebot für Gäste von Disentis und Sedrun, welches die Nutzung der Bergbahnen, des Bades, des Sportzentrums sowie die Strecke von Disentis bis Oberalp der Matterhorn Gotthard Bahn beinhält, könnte auf Andermatt ausgeweitet und dadurch auch den Gästen von Andermatt zur Verfügung gestellt werden.»


Erfolgreiche «Kreislaufwirtschaft»
Wie solche Zusammenschlüsse zu einer DMO auf regionaler Ebene gestaltet und gesteuert werden, ist dabei von besonderer Bedeutung. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass ein resilientes Gouvernanzmodell (rechtlicher und organisatorischer Rahmen) einer regionalen DMO auf der einen Seite durch ein diverseres Netzwerk insgesamt mehr Möglichkeiten der Innovation und Adaption bewirkt. Die zentrale Koordination und Steuerung von Anpassungs- und Innovationsprozessen auf regionaler Ebene ist besonders sinnvoll für mittel- bis langfristige Massnahmen, wie etwa der Diversifizierung der vom Wintertourismus abhängigen Wirtschaft hin zu einer stark vernetzten «Kreislaufwirtschaft», bei der Akteure und Akteurinnen ganz unterschiedlicher Sektoren zusammen neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln: aus der Nutzung des Rest-/Abfallstoffes eines Produktes entsteht ein neuer Produktkreislauf, bei dem der Mehrwert durch Synergien aus solch neuen Kooperationen entsteht.

Kurzfristige und schnelle Massnahmen, wie etwa die Reaktion auf eine akute Bedrohung (Bsp. extreme Wetterereignisse), werden jedoch effizienter und effektiver auf der Gouvernanzebene der Gemeinden gesteuert. Was die regionale DMO als diverseres Netzwerk mit zentraler Steuerfunktion langfristig an höherer Innovationskraft und kurzfristiger Anpassungsfähigkeit ermöglicht, hängt entscheidend davon ab, dass die höhere Flexibilität und Schnelligkeit der Gemeinden als Handlungseinheiten für kurzfristige Aktionen erhalten bleiben.


Innovation dank Kooperation
Die beiden Autoren der Studie, Prof. Dr. Tobias Luthe (HTW Chur) und Dr. Romano Wyss (EPFL Lausanne), weisen darauf hin, dass Innovation am besten in Zusammenarbeit entsteht: neu in die Region kommende Akteurinnen und Akteure sowie weniger gut vernetzte oder wirtschaftlich nicht sehr bedeutende Personen haben oftmals hohes kreatives Potential, welches es vermehrt zu nutzen gilt. Dies kann dadurch erfolgen, dass die wirtschaftlich sehr bedeutenden, etablierten und stark vernetzten Organisationen und Personen solche Akteurinnen und Akteure vom «Rande» des sozialen Netzwerkes besser integrieren und sie einladen, mitzugestalten. Nur so kann das innovative Potential einer Gemeinde und Region genutzt und deren Resilienz gestärkt werden. In sozialen Netzwerken wie etwa Gemeinden und Regionen ist der Erfolg des oder der Einen vom Erfolg des oder der Anderen abhängig – das Gefühl der Missgunst sollte dabei nicht existieren, denn von einer Stärkung der Einzelnen profitieren alle.


Anpassungsfähigkeit von den Alpen bis zur Arktis
Die Ergebnisse sind Teil des  internationalen Forschungsprojektes ArcAlpNet, welches die Anpassungsfähigkeit von Gemeinden in den Alpen und der Arktis untersucht. Unter der Leitung des ITFs der HTW Chur untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es bei einer stetig wechselnden Bevölkerung im Vergleich zu einer sehr stabilen und regional geprägten Region bei der Anpassungsfähigkeit an klimatisch und ökonomisch bedingte Veränderungen ergibt.

 

Das Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) erforscht das Mensch-Umwelt System Tourismus in seinen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Ausprägungen und Interaktionen. Die thematischen Schwerpunkte in der inter- und transdisziplinären Forschung haben einen engen Bezug zu alpinen Destinationen und ihrer Einbettung in die Landschaft, zu Konsumentenverhalten, zur Einwirkung von Umweltveränderungen auf den Tourismus und den daraus resultierenden Anpassungs- und Vermeidungsstrategien, sowie zu allgemeinen und methodischen Fragen der nachhaltigen Entwicklung, wie beispielsweise zur Komplexität und zur Messbarkeit von Nachhaltigkeit.
 
Link zum ausführlichen Beitrag in Englisch: Ecology and Society


Bildlegende:
Die touristischen Betriebe (Hotels, Gastronomie, Transport, Bergbahnen, etc.) der drei Gemeinden Andermatt, Sedrun und Disentis in der Surselva-Gotthard Region dargestellt als grosse Punkte (diese gehören zum stärker vernetzten Kern oder Zentrum der jeweiligen Gemeinde) und kleine Punkte, die der Peripherie angehören und weniger stark vernetzt (aber oft sehr innovativ) sind. In der regionalen Integration zeigt sich, dass Akteure und Akteurinnen aus Disentis und aus Andermatt sehr wenig untereinander kooperieren, und dass Betriebe in Sedrun die beiden anderen Gemeinden vernetzen und somit als «Broker» gelten.

Fachhochschule Graubünden

Als agile Hochschule setzt die FH Graubünden auf dynamisches Denken und proaktives Handeln. Mit diesem Mindset gestaltet sie nachhaltig die Zukunft mit. Studium und Forschung sind interdisziplinär und orientieren sich an praktischen Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre über 2300 Studierenden bildet sie zu hochqualifizierten und verantwortungsvollen Persönlichkeiten aus. Die Hochschule bietet Studien- und Weiterbildungsangebote in Architektur, Bauingenieurwesen, Computational and Data Science, Digital Supply Chain Management, Information Science, Management, Mobile Robotics, Multimedia Production, Photonics sowie Tourismus an. In ihrer Forschung fokussiert sie auf die Themen Angewandte Zukunftstechnologien, Entwicklung im alpinen Raum und Unternehmerisches Handeln, und agiert auch partizipativ in Reallaboren. Die Mitwirkung aller Hochschulangehörigen trägt zur Weiterentwicklung der Fachhochschule und deren Qualität bei.