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Regionale Bedeutung der Personenfreizügigkeit
Projekt auf einen Blick

Projekt auf einen Blick

Ausgangslage und Auftrag

Die untersuchte grenzüberschreitende Region besteht aus Liechtenstein, dem St. Galler Rheintal und Teilen Vorarlbergs. Sie ist – u. a. dank der durch die Personenfreizügigkeit ermöglichten Integration des Arbeitsmarkts – stark gewachsen in den letzten 15 Jahren. Seit Aufnahme des Artikels 121a («Masseneinwanderungsinitiative») in die Schweizer Bundesverfassung am 9. Februar 2014 haben die Schweizer Behörden den Auftrag, die Zuwanderung zu begrenzen. Davon könnten sowohl Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus dem Vorarlberg und dem Fürstentum Liechtenstein als auch Nicht-Schweizer Pendlerinnen und Pendler, die von der Schweiz nach Liechtenstein bzw. Vorarlberg zur Arbeit fahren, betroffen sein. Damit würde der grenzüberschreitende Austausch von Arbeits- und Fachkräften in dieser Region behindert werden.

Die Studie des Zentrums für wirtschaftspolitische Forschung (ZWF) der FH Graubünden untersuchte im Auftrag der Regierung des Fürstentums Liechtenstein die möglichen Auswirkungen einer Einschränkung der Personenfreizügigkeit für die Region Liechtenstein, St. Galler Rheintal und Vorarlberg. Das Projektteam bestand aus Peter Moser (Projektleitung), Peter Tromm und – in einer späteren Phase – Andreas Ziegler (Universität Lausanne).

 

Merkmale des Wirtschaftsraums Liechtenstein, St. Galler Rheintal und Vorarlberg

Die Region FL-SG-VA ist eine wirtschaftlich erfolgreiche, grenzüberschreitende Agglomeration mit einer starken industriellen Basis und mit ergänzenden Dienstleistungen. Insgesamt leben ca. 300 000 Menschen und 150 000 Erwerbstätige in dieser Region. FL-SG-VA ist ein ausgeprägter Industriecluster: Bau und Industrie stellen fast 95 000 Arbeitsplätze, mehr als jeden dritten Arbeitsplatz. Insbesondere das SG-Rheintal (ca. 28 000 Stellen) und Liechtenstein (ca. 14 000 Arbeitsplätze) haben einen hohen Beschäftigungsanteil von 44 bzw. 43 Prozent im zweiten Sektor. Der Beschäftigungsanteil in der Industrie (ohne Bau) ist im SG-Rheintal und in Liechtenstein mit 34 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Schweiz. Dabei ist die Spezialisierung in Liechtenstein und im SG-Rheintal ähnlich.

Der Erfolg der Region zeigt sich in der beträchtlichen Zunahme der Beschäftigten und der Bevölkerung. In der Region wurden seit 2000 viele Arbeitsplätze und Erwerbsmöglichkeiten geschaffen. Im SG-Rheintal nahm die Zahl der Erwerbstätigen um 11 500 (+ 18 %) zu, in Liechtenstein stieg die Zahl der Beschäftigten um 9900 (+ 37 %) und in Vorarlberg um 21 300 (+ 16 %). Selbst während der starken Aufwertung des Schweizer Frankens in den Jahren 2010 – 2014 nahm die Beschäftigung im SG-Rheintal (+ 4800) und in Liechtenstein (+ 2300) weiter zu.

Aufgrund der prosperierenden Wirtschaftsentwicklung ist die Bevölkerung in der Region seit 2002 um 11 Prozent oder 43 500 Personen gewachsen. Die Bevölkerungszunahme ist in allen Teilen der Region deutlich: SG-Rheintal: + 15 758 (12 %), Liechtenstein: + 3503 (10 %), Feldkirch: + 10 632 (11 %). Auch wenn das prozentuale Bevölkerungswachstum im St. Galler Rheintal das stärkste von allen Regionen des Kantons St. Gallen ist, entspricht es knapp dem Schweizer Durchschnitt und ist leicht tiefer als dasjenige des südlich liegenden Bezirks Landquart (13 %).

Die starke Zunahme der grenzüberschreitenden Pendlerströme verdeutlicht, dass die Region von der Personenfreizügigkeit profitiert. Diese ermöglicht das Zusammenwachsen der Arbeitsmärkte und damit einen intensiveren Fachkräfteaustausch innerhalb der Region. Insgesamt überqueren ca. 28 000 Berufstätige regelmässig die Landesgrenzen. Im Jahr 2014 pendelten 6795 Personen aus dem Vorarlberg und 1218 Personen aus Liechtenstein in den Kanton St. Gallen. Und umgekehrt pendelten im gleichen Jahr 8591 Personen (davon 57 Prozent mit Schweizer Staatsbürgerschaft) zum Arbeiten nach Liechtenstein. In Liechtenstein sind 53 Prozent aller Beschäftigten Grenzgängerinnen und Grenzgänger, im St. Galler Rheintal 7 Prozent.

Wie Abbildung 1 verdeutlicht, nahm die Zahl der Zupendlerinnen und Zupendler nach Liechtenstein zwischen 2002 und 2014 um 6’521 Personen zu; knapp drei Viertel dieser Personen stammten aus der Schweiz. Von diesen zusätzlichen Pendlerinnen und Pendlern aus der Schweiz sind ein Drittel Schweizer Bürgerinnen bzw. Bürger, zwei Drittel haben einen ausländischen Pass. Aber auch die Anzahl Wegpendlerinnen und Wegpendler aus Liechtenstein nahm im untersuchten Zeitraum um 776 Personen zu; das durchschnittliche jährliche Wachstum war dabei mit 4,5 Prozent leicht höher als bei den Zupendlerinnen und Zupendlern (3,5 Prozent).

 

Bedeutung für das St. Galler Rheintal

Als Teil der grenzüberschreitenden Wirtschaftsregion wächst das St. Galler Rheintal im Vergleich zu anderen Regionen des Kantons St. Gallen überdurchschnittlich, sowohl hinsichtlich der Beschäftigung als auch der Bevölkerung. Die Arbeitsstellen bei Unternehmen in Liechtenstein sind ein wesentlicher und sehr attraktiver Aspekt des Arbeitsmarkts in dieser Region. Jede/Jeder zehnte Erwerbstätige des St. Galler Rheintals – knapp 8000 Personen – arbeitet in Liechtenstein. Besonders ausgeprägt ist diese Verflechtung im Wahlkreis Werdenberg: Jede/Jeder vierte Erwerbstätige arbeitet in Liechtenstein, insgesamt knapp 5000 Personen. Jedoch kommen auch 745 Personen oder 4,2 % aller Erwerbstätigen in Werdenberg aus Liechtenstein.

 

Die Bruttolöhne der Zupendlerinnen und Zupendler in Liechtenstein betrugen 2014 ca. CHF 1,5 Milliarden, von denen 55 Prozent (CHF 844 Mio.) an Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus der Schweiz flossen. Davon flossen schätzungsweise 81 Prozent in den Kanton St. Gallen (CHF 680 Mio.) bzw. 76 % in das St. Galler Rheintal (CHF 640 Mio.). Der geschätzte Jahresdurchschnittslohn (Median) einer Grenzgängerin bzw. eines Grenzgängers aus der Schweiz lag im Jahr 2012 bei einer Vollzeitanstellung bei CHF 80 300. Er war damit um mehr als 10 Prozent höher als der Durchschnittslohn (Median) in der Ostschweiz (CHF 71 200).

Die Grenzgängerinnen und Grenzgänger nach Liechtenstein finanzieren durch ihre Steuerzahlungen einen substanziellen Teil der Ausgaben der Gemeinden im St. Galler Rheintal und beanspruchen aufgrund des tiefen Arbeitslosenrisikos die staatlichen Sozialsysteme nur wenig. Die jährlichen an Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus der Schweiz ausbezahlten Löhne von ca. CHF 844 Millionen führen in der Schweiz zu geschätzten Einkommenssteuern zwischen CHF 71 und CHF 108 Millionen. Zwischen CHF 55 und CHF 90 Millionen fliessen an den Kanton St. Gallen und seine Gemeinden. In der Region Werdenberg entsprechen diese Zahlungen etwa einem Viertel der Einkommenssteuern.

 

Auswirkungen einer strikten Umsetzung von Art. 121a BV

Ob und wie stark die Grenzgängerströme zwischen der Schweiz und Liechtenstein eingeschränkt werden, konnte zum Zeitpunkt der Studie nicht prognostiziert werden. Deshalb haben wir die Auswirkungen von drei möglichen Szenarien untersucht. Die Hauptergebnisse zeigen auf, dass die Funktionsweise des Arbeitsmarkts in der Region FL-SG-VA durch die Beschränkung der grenzüberschreitenden Pendlerströme bedeutend gestört würde. Potenziell wäre die Besetzung von mehr als 9 Prozent – bei Gegenmassnahmen sogar bis zu 18 Prozent – aller Arbeitsplätze in der Region FL-SG-VA (Feldkirch) langfristig unsicher. Damit würden Stellenwechsel innerhalb der Region erschwert und Verschiebungen von Mitarbeitenden zwischen Betrieben desselben Unternehmens noch schwieriger als heute. Gegenüber anderen eher binnenorientierten Regionen würde damit die grenzüberschreitende Region FL-SG-VA benachteiligt, denn ihr Zugang zu Teilen des natürlichen Agglomerationsraums würde behindert. Im St. Galler Rheintal würde eine Kontingentierung zusätzlich auch die Anstellung von EU/EFTA-Bürgerinnen und -Bürgern mit beeinträchtigen. Davon wäre das St. Galler Rheintal stark betroffen, sind doch 27 Prozent aller Erwerbstätigen Nicht-Schweizerinnen bzw. Nicht-Schweizer.

In den Szenarien mit Beschränkung würde die bisherige Entwicklung im St. Galler Rheintal stark gebremst. Im Vergleich zu einem realistischen Referenzszenario mit einem abgeschwächten Wachstum würden die Pendlerzahlen nach Liechtenstein stark sinken, wodurch auch die Einkommen und Steuereinnahmen im St. Galler Rheintal deutlich weniger schnell wachsen würden als ohne Beschränkung. Während Liechtenstein einen Teil seiner fehlenden Pendlerinnen und Pendler aus der Schweiz durch zusätzliche Pendlerinnen und Pendler aus Vorarlberg oder durch vermehrte Migration nach Liechtenstein kompensieren könnte, würde das St. Galler Rheintal durch die Beschränkung zweifach getroffen: zum einen durch Einschränkungen der lokalen Unternehmen bei der Rekrutierung von Grenzgängerinnen/Grenzgängern und Zuwandernden, zum anderen durch die geringeren Lohneinkommen aus Liechtenstein infolge der kleineren Anzahl Pendlerinnen und Pendler im Vergleich zum Referenzszenario.

Team

Team

Dozent, Wissenschaftlicher Projektleiter
Weiterführende Informationen

Weiterführende Informationen

Publikation

Moser, P.; Tromm, P. (2016). Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die Region Liechtenstein, St. Galler Rheintal und Vorarlberg. Präsentation der Projektergebnisse, 30. Mai 2016.