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Dank Nischen regional verankert und national anerkannt
Dank Nischen regional verankert und national anerkannt

Dank Nischen regional verankert und national anerkannt

Warum setzt sich eine Fachhochschule, welche in Graubünden beheimatet ist, in ihrer Vision zum Ziel, national anerkannt zu sein? Warum richtet sich die FH Graubünden mit ihren neuen Studiengängen und Forschungsfeldern auf die ganze Schweiz aus? Ist die Bündner Fachhochschule etwa untreu? Ganz im Gegenteil! Dank ihrer Nischenstrategie kann die FH Graubünden ihre Studien überhaupt erst erfolgreich für die Region durchführen.

Text: Prof. Jürg Kessler / Bild: Andrea Jörimann, Pierina Ryffel

Mit den Bachelorangeboten Digital Business ManagementMultimedia Production und Photonics hat die FH Graubünden in den vergangenen Jahren immer wieder erfolgreiche Studienkonzepte auf den Markt gebracht, welche Bedürfnissen der Unternehmen erfüllen sowie attraktiv für unsere Studierenden sind und als einzigartige Angebote schweizweit konkurrenzlos dastehen. Nach der Theorie von Porter entspricht dies einer sogenannten Fokusstrategie, in welcher ein Unternehmen sich auf konkret eingegrenzte Marktsegmente konzentriert. Mit anderen Worten: Die Bündner Fachhochschule kann ihre Kenntnisse, Kompetenzen und Fähigkeiten auf einen bestimmten Bereich konzentrieren, sich dadurch spezialisieren und von den Mitbewerberinnen abheben. Aber warum?

 

Standort und Demographie

Mit Ausnahme einiger «Wintersportverrückter», welche bewusst ihr Studium dort absolvieren möchten, wo andere Ferien machen, wird die Lage der FH Graubünden in einer Randregion vom Markt üblicherweise als nachteilig erachtet. Mit spannenden, auf qualitativ hohem Niveau stehenden und einzigartigen Studienangeboten lockt die FH Graubünden junge Erwachsene in die «Studierecke» der Schweiz und der Standortnachteil ist kein Thema (mehr). Und wie sieht es mit den jungen Bündnerinnen und Bündnern aus?

Die knapp 200 000 Einwohnerinnen und Einwohner Graubündens machen nicht einmal drei Prozent der schweizerischen Wohnbevölkerung aus. Auch wenn die Geburtenrate in den letzten Jahren wieder steigende Tendenz aufweist, liegen die effektiven Zahlen immer noch deutlich unter dem letzten Höchststand von 2 433 Geburten im Jahr 1992. Der absolute Höchststand an Geburten in Graubünden wurde übrigens 1964 mit 3 073 erreicht, als an der Vorgängerinstitution der FH Graubünden, dem Abendtechnikum, die ersten Vorlesungen gehalten wurden. Diesbezüglich besteht selbstverständlich kein Zusammenhang! Die bisher absolut tiefste Geburtenrate pro Jahr wurde 2005 vermeldet, mit ganzen 1 528 neuen Bündner Erdenbürgerinnen und -bürgern. Die Zahlen haben sich seitdem wieder etwas erholt und bei über 1 800 Geburten pro Jahr stabilisiert.

Trotz der prozentual steigenden Berufsmaturitätsquote in Graubünden (auf rund 17 Prozent im 2012) gibt der Kanton Graubünden also in den vergangenen Jahren immer weniger potenzielle Studierende her. Auch, um dieser demografischen Entwicklung entgegenzuwirken, hat sich die Leitung der FH Graubünden schon vor Jahren für diese Nischenstrategie entschieden. Und jetzt zum springenden Punkt: War diese von Erfolg gekrönt?

Neue Studienangebote als Schlüssel zum Erfolg

Die kurze Antwort lautet: Ja! Heute belegen rund 1 300 junge Erwachsene ein Bachelor- oder Masterstudium an der FH Graubünden. Sie sind durchschnittlich Mitte der 1990er-Jahre geboren. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 waren es erst etwas über 900 Bachelor- und Masterstudierende. Eine Auswertung der Studierendenzahlen pro Studium hat für diesen Zeitraum ergeben, dass heute – wenn anno dazumal die Hochschulleitung nicht vorausschauend gehandelt hätte – nur noch 765 Studentinnen und Studenten an der FH Graubünden eingeschrieben wären. Eine Halbierung also im Vergleich zu den aktuellen Zahlen! Zusätzlich absolvieren gut 300 Berufstätige Weiterbildungsstudiengänge bei uns und schliessen diese zumeist mit einem Master of Advanced Studies (MAS) oder Executive Master of Business Administration (EMBA) ab.

Weniger Studierende gleich weniger Dozierende gleich weniger Studiengebühren gleich weniger versteuerte Löhne gleich weniger Konsum gleich weniger Wertschöpfung für den Kanton Graubünden. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, muss kein Betriebsökonomiestudium vorausgesetzt werden. In konkreten Zahlen ausgedrückt: Mit der geringeren Anzahl Arbeitsplätze und den tieferen Einnahmen aus Semestergebühren hätte die im Jahr 2015 von der FH Graubünden erzielte Bruttowertschöpfung von 41 Mio. Franken nicht realisiert werden können. Ein weiterer Grund für die Weiterentwicklung nationaler Angebote liegt darin, dass aufgrund des optimierten Angebotsportfolios auch kleinere Studiengänge mit mit nationaler Ausstrahlung, welche aber primär für die Region sind, überhaupt angeboten werden können: beispielsweise Bauingenieurwesen und Architektur.

Auch in der Technik können zukünftig, dank des schweizweit einmaligen Bachelorstudiums Photonics, vermehrt die von der regionalen Industrie geforderten Ingenieurinnen und Ingenieure ausgebildet werden. Zugunsten der regionalen Wirtschaft und aufgrund der Studienverteilungssituation innerhalb der FHO ging die Bündner Fachhochschule vor einigen Jahren eine Kooperation mit der NTB Buchs im Bereich Systemtechnik ein. Dieses Bachelorstudium deckt aber nicht alle von der Wirtschaft geforderten Bedürfnisse ab.

Erst die Selbstständigkeit ermöglicht der Bündner Fachhochschule die Einführung weiterer einmaliger technischer Bachelorangebote zur Ergänzung des heutigen Profils. Zurzeit beschreitet die FH Graubünden den Weg zur Selbstständigkeit und wird dabei von der Regierung des Kantons Graubünden unterstützt. In einer Rede im Oktober 2016 erläuterte Regierungsrat Martin Jäger die Situation:

«In den vergangenen Jahren hat sich mehrfach gezeigt, dass die Einbindung der FH Graubünden in die FHO eine dynamische Weiterentwicklung der FH Graubünden verzögert und somit auch Bestrebungen, die Bündner Volkswirtschaft zu stärken, verhindert. Die Hochschule und der Kanton sind auf kurze, effiziente Entscheidungswege angewiesen, welche der speziellen geografischen und sprachlichen Situation des Kantons Rechnung tragen.»

Bildung und Forschung als «Exportschlager»

Die steigende Zahl an ausserkantonalen Studierenden auf knapp 80 Prozent im Herbstsemester 2016 ist, neben der zentralen Funktion als Standortfaktor und dem unschätzbaren Wert, jungen Menschen zum Erfolg zu verhelfen, ein wirtschaftliches Erfolgsmodell, da Studiengebühren aus anderen Kantonen, von Seiten des Bundes sowie aus dem Ausland nach Graubünden fliessen.

Australien macht vor, was auch für den Kanton Graubünden noch verstärkter von Bedeutung sein könnte: In «Down Under» ist das drittwichtigste Exportgut die Bildung. Ein Erfolgsmodell auch für unseren ressourcenarmen Bergkanton. Dies gilt im Falle Graubündens auch für die Forschung. Hier konnte die FH Graubünden im Jahr 2015 Beiträge in Höhe von knapp 6,2 Mio. Franken ausweisen (im Vergleich 2003: rund 0,4 Mio. Franken). In diesem Zusammenhang ist die FH Graubünden sehr erfreut, seit Herbst 2016 Vollmitglied der Academia Raetica zu sein. Duri Bezzola, Geschäftsführer der Academia Raetica, betonte in einem Interview in der Zeitung Südostschweiz im November 2016:

«Solide Wachstumschancen hat (…) die Wissenschaft. Diese wächst hier und europaweit seit Jahrzehnten kontinuierlich; Wissenschaft ist krisenfest und bringt einen hohen Return on Investment.»

Dass sich die Hochschulbildung und -forschung, zusätzlich zu ihren direkten Werten für eine Region als Standortfaktor, für die Volkswirtschaft auch zu einer hoch wertschöpfenden eigenen Branche entwickeln kann, zeigt die volkswirtschaftliche Bedeutung der FH Graubünden für den Kanton, bei dem für einen investierten Franken des Kantons gemäss der neuesten Studie 3,50 Franken brutto in den Kanton Graubünden zurückkommen. Wie in anderen Regionen gilt es, diese Chance im Kanton Graubünden zu nutzen. Mehr dazu im folgenden Artikel unseres Verwaltungsdirektors Arno Arpagaus.

Beitrag von

Jürg Kessler, Prof.

Rektor