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Wissensplatz
«Im Vordergrund stehen Menschen, nicht Bücher»
«Im Vordergrund stehen Menschen, nicht Bücher»

«Im Vordergrund stehen Menschen, nicht Bücher»

Suela Jorgaqi hat Information und Dokumentation an der FH Graubünden studiert, was dem heutigen Bachelorstudium Information Science entspricht. Heute leitet sie den Standort Hardau der Pestalozzi Bibliothek Zürich. Das interkulturelle Angebot der Quartierbibliothek liegt ihr speziell am Herzen.

Text: Flurina Simeon / Bild: Flurina Simeon, STEHAUF / Film: STEHAUF

Sie haben an der FH Graubünden das Bachelorstudium Information Science absolviert. Welche Erinnerungen an Ihr Studium sind besonders präsent?
Insbesondere die Vielfalt der Module ist mir in Erinnerung geblieben. Neben den fachlichen Inhalten habe ich mich während meines Studiums auch für – auf den ersten Blick – «irrelevante» Inhalte interessiert. So habe ich z. B. mit Freude das Wahlfach Spanisch belegt. Auch Kulturgeschichte fand ich sehr spannend. Damals schienen mir diese Fächer nichts mit der Bibliothek zu tun zu haben. In der Zwischenzeit habe ich diese Meinung revidiert: Alle Inhalte sind für meine heutige Arbeit relevant.

Was vermissen Sie aus Ihrem Studentinnenleben?
Ich vermisse das Flair des Studierens, diese spezielle Unbeschwertheit, welche im Arbeitsalltag nicht mehr möglich ist.

Was war der Höhepunkt Ihres Studiums?
Da gibt es mehrere. Natürlich war der Abschluss etwas Grossartiges. Ich war die einzige nicht deutschsprachige Studentin meines Jahrgangs, was einen Sonder-Effort meinerseits bedingte. Ausserdem habe ich sympathische Leute kennengelernt und daraus sind wertvolle Kontakte entstanden. Mein privates Highlight war das Kennenlernen meines heutigen Ehemanns in der letzten Vorlesung.

Welche Tipps möchten Sie den Studierenden von heute mit auf den Weg geben?
Nutzen Sie die Vernetzungsmöglichkeiten während des Studiums! Zudem sind Sprachen ein Wissensschatz, welcher einem in jeder Branche und in jedem Berufsfeld dienlich ist.

Seit 2009 sind Sie am Standort Hardau der Pestalozzi Bibliothek Zürich (PBZ) tätig, seit fünf Jahren sogar als dessen Leiterin. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Eine Bibliothek ist heute mehr denn je ein Dienstleistungsbetrieb – die Menschen stehen also im Zentrum meiner Tätigkeit, nicht die Bücher. Wir müssen uns bewusst machen, was die Menschen von einer Bibliothek erwarten. In anderen Branchen nennt man dies «Kundenfreundlichkeit».

Immer weniger Kinder und Jugendliche lesen heute. Anstatt zu resignieren, begegnen wir dieser Tatsache mit Anlässen, welche diese Altersgruppe dennoch in die Bibliothek locken. So führten wir im vergangenen Herbst einen Star-Wars-Event durch, welcher auf grossen Anklang stiess. Die Kinder und Eltern «gameten» um die Wette, schmökerten aber auch in der bereitgestellten, thematisch passenden Literatur.

 

Die Bibliothek am Abend.
Suela Jorgaqi geniesst ihre Freizeit.
Suela Jorgaqi, Alumna der FH Graubünden

Was aus dem Studium ist für Ihre heutige Tätigkeit besonders hilfreich?
Neben dem erlernten Fachwissen bin ich insbesondere dem damals strengen Dozenten für das Feilen an meiner Präsentationstechnik sehr dankbar. Dank ihm bereitet es mir heute keine Mühe, vor 2000 Leuten zu stehen und zu präsentieren.

Was ist die Rolle der (Quartier-)Bibliothek heute und wie hat sich diese verändert?
Die PBZ Hardau ist eine klassische Quartierbibliothek, welche dank ihrer interkulturellen Ausrichtung einmalig in Zürich ist. Mit Medien in zwölf Sprachen verstehen wir uns hier als Kompetenzzentrum. Eine Mehrheit der Mitarbeiterinnen hat einen Migrationshintergrund und gemeinsam können wir alle zwölf vertretenen Sprachen abdecken. Dadurch senken wir die Hemmschwelle vieler Einwohnerinnen und Einwohner des Quartiers im Hinblick auf einen Bibliotheksbesuch. Auch wenn unsere Ausleihzahlen nicht boomen, sind unsere Besucherzahlen in den vergangenen Jahren gestiegen – die Bemühungen fruchten also.

Zudem ist die Vernetzung zwischen der Bibliothek und den Vereinen sowie anderen Organisationen wichtig für unsere Tätigkeit. So bietet die Caritas ausserhalb unserer Öffnungszeiten einen Deutschkurs in unseren Räumlichkeiten an. Menschen, welche ursprünglich bildungsfern waren, werden dadurch an die Institution Bibliothek herangeführt.

Mit welchen neuen Angeboten bleibt die PBZ Hardau auf der Höhe der Zeit? 
Es sind nicht mehr die Bücher, welche im Vordergrund stehen, es sind die Menschen und der Raum für die Menschen. Ein Museum ist heute auch kein Museum im herkömmlichen Sinn – es ist ein Erlebnis- und Begegnungsort. Das Gleiche gilt für die moderne Bibliothek. Je flexibler die Einrichtung, desto vielfältiger kann der Raum genutzt und den Menschen zur Verfügung gestellt werden.

Auf den ersten Blick ist es für viele überraschend, dass unsere Küche ein wichtiges Element der Bibliotheksinfrastruktur darstellt. Sie wird für Apéros nach unseren vielen Veranstaltungen rege genutzt. Derzeit überlegen wir, ob wir als neues Angebot einen interkulturellen Kochkurs anbieten.

Nicht nur mit E-Books, für deren Ausleihe die Bibliothek nicht einmal physisch besucht werden muss, erweitern wir den Raum der Bibliothek, sondern auch mit Aktionen wie der «Lesewiese» im vergangenen Sommer. Eine Sitzgelegenheit unter dem Baum vor unserer Bibliothek – mit etwas Lesestoff – wurde rege genutzt. Bei passender Witterung werden wir diese Idee im kommenden Sommer weiterführen.

Über Suela Jorgaqi

Suela Jorgaqi ist in Tirana (Albanien) geboren und hat an der dortigen Universität Germanistik studiert. Nach dem Lizenziat entschied sie sich für das Bachelorstudium Information und Dokumentation, das heutige Information Science, an der FH Graubünden. Nach einem mehrjährigen Arbeitseinsatz bei einer Gewerkschaft wechselte Jorgaqi im Jahr 2009 an den Standort Hardau der Pestalozzi Bibliothek Zürich, dem sie seit 2012 als Leiterin vorsteht. Sie ist verheiratet und Mutter eines kleinen Sohnes; die junge Familie ist in Zürich wohnhaft. Kino, Lesen, Reisen und das Leben im Allgemeinen bezeichnet Jorgaqi als ihre Hobbys.

Über die Pestalozzi Bibliothek Zürich (Standort Hardau)

Die interkulturelle Bibliothek am Fusse der Hardhochhäuser bietet Medien in zwölf Sprachen an. Für fremdsprachige Eltern mit ihren Kindern finden zudem viele Veranstaltungen zur Förderung der Muttersprachenkompetenz statt. Im Jahr 2016 feierte die Pestalozzi Bibliothek Zürich ihr 120-jähriges Bestehen.

Beitrag von

Flurina Simeon

Flurina Simeon ist Kommunikationsbeauftragte der FH Graubünden