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Experimentierfeld Multimedia
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Experimentierfeld Multimedia

Der Professor ist bunt. Bunt an Thomas Weibel sind die roten Brillenbügel und seine kaleidoskopartigen Erzählungen über seine Arbeit als Dozent und Coach im Modul «Konvergent Produzieren» des Bachelor-Studiengangs Multimedia Production (MMP).

Text: Karin Huber, Flurina Simeon / Bild: Yvonne Bollhalder

Die MMP-Studierenden schreiben, fotografieren, zeichnen, filmen, vertonen, gestalten und programmieren. «Sie lernen alles, aber beherrschen müssen sie nicht alles», winkt Thomas Weibel gleich ab, wenn man sich zu sehr beeindruckt gibt. Die Studierenden, die später in der Kommunikations- und Medienwelt tätig sind, werden sich spezialisieren, brauchen jedoch das Wissen, das sie sich im MMP-Studiengang aneignen. Dass das Studium einem grossen und grossartigen Experimentierfeld gleicht, das treffe es gut.

Thomas Weibel tickt ganz ähnlich wie seine Studierenden: Was er tut, passiert immer aus Interesse und Leidenschaft. Und er ist extrem vielfältig, ist nicht nur Dozent, sondern wirkt nach wie vor in seinen ehemaligen Brotberufen als Autor, Radiojournalist, Programmierer, Fotograf, Berater, Musiker, bewegt sich zwischen Hochschule und eigenem Multimediaproduzenten-Büro. Von seiner Experimentierlust und dem grossen Wissen rund um MMP profitiert die Bündner Hochschule.

Arbeiten im Produktionsparadies

Der Mann scheint bei diesem immensen Aufgabengebiet, das er sich so ja selbst ausgesucht hat, kaum zum Schlafen zu kommen. «Ich bin Frühaufsteher, Nachtmensch und Langschläfer…», lacht er. Wie er das schafft, bleibt sein Geheimnis. In aller Regel ist er morgens der Allererste im Churer Medienhaus, also dort, wo die neuen Räume für MMP eingerichtet sind, mit viel Platz und mit Radio- und Fernsehstudio. «Hier gibt es realistische Produktions- und Lernbedingungen. Für mich selbst ist es der tollste Arbeitsplatz und ein einziges Produktionsparadies. Wer hat sowas schon?»

Die herkömmliche Rolle in der Lehre ist im Bachelor-Studiengang MMP weitgehend aufgelöst. Regelunterricht gibt Weibel wenig. Anstelle der üblichen Vorlesungen sind Coachings, Feedback-Besprechungen und Brainstormings getreten, oft einzeln, manchmal in Gruppen. Statt also an einem Tag 20 Studierende in fixen Lektionen zu unterrichten, kommen und gehen die Studierenden, besprechen ihre Projekte von der ersten losen Idee bis zur technischen Umsetzung, vom Projektaufbau bis zum letzten Feinschliff. Die Studierenden wählen ihre Projekte frei, werden jedoch von Thomas Weibel in allen Fragen unterstützt und in den Prozessen begleitet.

Die multimediale Schatzkiste

Digezz ist so ein Projekt. Digezz ist die zentrale Webseite des Studiengangs, die Weibel ausgebaut und zu dem gemacht hat, was sie heute ist: Eine Internetplattform für die Studierenden. Dort finden sich sämtliche Projekte, die diese realisieren. Gelungene – und auch gescheiterte. «Denn daraus lernen alle». Beschrieben wird auf der Webseite auch, was an einem Projekt gut und was schlecht ist. Ebenfalls hat es Platz für kritische Kommentare.

Studierende erarbeiten im Lernmodul «Konvergent Produzieren» die multimedialen Beiträge. «Der Name «Digezz» leitet sich vom englischen «to digest» und von «Jazz» ab», erklärt Thomas Weibel. Kreativität und Gestaltungswille spielen hier eine grosse Rolle. Die Darstellungsformen reichen von 100-Sekunden-Hörbeiträgen über Kurzfilme und animierte Fotos bis hin zu ganzen Hörspielen, geschrieben, inszeniert und produziert von den Studierenden selbst.

Der MMP-Dozent greift selten ein, lässt, ausser bei ethischen und rechtlichen Bedenken, seinen Studierenden freie Hand. Hat er projektbezogene Einwände, wie anfänglich etwa bei der Thrillerserie «Cassian», die vier Studenten realisieren wollten, kommuniziert er das offen. «Doch am Ende war genau diese dreiteilige Thrillerserie ein Highlight sondergleichen. Denn sie hat viele innovative Ansätze und wurde äusserst professionell hergestellt», freut sich Weibel.

Mediale Experimente

«Natürlich hat es bei uns auch Platz für kleine, mediale Experimente, die mich im Ergebnis oft begeistern». Sie sind, ebenso wie die didaktischen Versuche, ein Teil der Ausbildung. «Denn wir bilden für die Zukunft aus, obwohl wir noch gar nicht wissen, wie diese Zukunft einmal aussehen wird. Die Aufgabe unserer Studierenden ist es allerdings, genau dies herauszufinden. Ich selbst sehe die Medienexperimente als nichts anderes als eine Plattform für die Medienzukunft.» Diese betrifft alle, die Studierenden ebenso wie die Unternehmen, die User und nicht zuletzt die Hochschule selbst.

«Die Plattform führt viele kreative, innovative Beispiele vor, wie die multimedialen Möglichkeiten für professionelle Kommunikation in Medien, Unternehmen und Institutionen genutzt werden können. Da alle Branchen vom Medienwandel gleichermassen betroffen sind, ist der breite Generalistenansatz an der FH Graubünden gewollt. «Heute scheitern viele Medienprojekte am fehlenden Verständnis zwischen Technik- und Produktionsverantwortlichen. Gelingt die Kommunikation nicht, helfen kompetente Drittpersonen, welche die Sprache aller Beteiligten reden, die das gesamte Metier überblicken und grosse Teile davon selbst beherrschen. Personen also wie die Medieningenieure und Medieningenieurinnen der FH Graubünden und der Berner Fachhochschule, wo unser Lehrgang seit Herbst 2014 auch durchgeführt wird»

Thomas Weibels Dozententage in Chur – zwei bis drei pro Woche – sind äusserst abwechslungsreich. Ein Teil seiner Zeit an der FH Graubünden fliesst auch in Forschungs– und Entwicklungsaufgaben. Er mag diese Vielfältigkeit, die seine Arbeit mit sich bringt. Nein, sagt er, als anstrengend empfinde er seine Tage nicht. Sie seien einfach spannend. Weibel unterrichtet zusätzlich einen Tag im MMP-Studiengang in Bern.

Wie weiter?

Das MMP-Studium wird sich weiterentwickeln, ebenso wie die experimentelle Plattform Digezz. «Digezz ist eine multimediale Schatzkiste und unschlagbar gut. Aber noch ist es eine Plattform fürs Auge, das Ohr kommt noch zu kurz. Das wollen wir ändern.» Digezz ist als Plattform ähnlich einem Open-Source-Programm konzipiert, ein Programm also, das allen offen steht und dessen Hintergründe für alle einsehbar sind. «Abkupfern?», lacht Weibel: «Abkupfern können das andere natürlich schon, aber es wird nicht ganz so einfach sein, so etwas in unserer hochstehenden Qualität nachzumachen.»

«Digezz zeigt, dass wir mit der individuellen Förderung unserer Studierenden ziemlich erfolgreich sind.»
Thomas Weibel, Professor

Interview


Was ist Digezz?
Digezz ist eine Plattform für junge, kreative Geister. Dabei geht es um Medienexperimente, die auch mal scheitern dürfen. Aber sie müssen analysiert werden, und diese selbstkritischen Reflexionen der Macherinnen und Macher sind auch auf Digezz zu lesen.

Wie wird Digezz im Studienalltag genutzt, sowohl von Studierenden als auch Dozierenden?
Was die Studierenden am Anfang verblüfft: Konventionellen Unterricht gibt es in «Konvergent Produzieren» keinen mehr. Stattdessen gibt es Brainstormings, Feedbacks, Coachings nach Mass. Jeder Student und jede Studentin kann sich immer bei uns Dozierenden Rat holen, und zwar genau den, den er oder sie gerade braucht. Individuelle Betreuung statt Klassenunterricht: Das ist im Grunde das Rezept für all die tollen Beiträge, die hier entstehen.

Was macht Digezz besonders?
Die Freiheit der Studierenden, inhaltlich und medial genau das zu machen, was sie immer schon mal machen wollten. Digezz ist auch ein Didaktik-Experiment: Wir wollen damit herausfinden, was Studierende brauchen, um ihre Kreativität ungehindert sprudeln zu lassen. Heute wissen wir: Vorlesungen braucht es dazu nicht. Viel wichtiger ist es, die Studierenden individuell zu fördern. In aller Unbescheidenheit: Digezz zeigt, dass wir damit ziemlich erfolgreich sind.

Was macht Sie stolz auf Digezz?
Immer wieder entstehen Beiträge, die ich in dieser Qualität und Eigenständigkeit nirgendwo sonst zu sehen bekomme: Eine dreiteilige, zum Zerreissen spannende Krimiserie etwa, ein Animationsfilm für die «Generation Smartphone» mit einem neu geschriebenen Mani-Matter-Lied, oder auch ein genialer Soundtrack, der ausschliesslich aus Klängen gemacht ist, die von Kücheninstrumenten stammen. Ganz besonders stolz macht es mich zu beobachten, wie junge Studierende in wenigen Semestern zu Medieningenieuren und -ingenieurinnen werden, die mit allen Wassern gewaschen sind und von denen ich mindestens ebenso viel lernen kann wie sie von mir.

Beitrag von

Flurina Simeon

Kommunikationsbeauftrage der FH Graubünden

 

Thomas Weibel

Dozent Bachelor-Studiengang Multimedia Production