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Gesundheitsversorgung abseits der Zentren

Xundheit! Wie sichern wir die Gesundheitsversorgung abseits der Zentren?

08. Oktober 2021

Der 14. Gesprächskreis zur Wirtschaftspolitik widmete sich der Gesundheitsversorgung in ländlich-peripheren Regionen und insbesondere in den Bündner Tälern. Erfahren Sie mehr in der Synthese zum Anlass (inkl. Video).

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Videoaufzeichnung des öffentlichen Anlasses (YouTube)

 

Gesundheitsversorgung abseits der Zentren

Das Gesundheitswesen ist in vielerlei Hinsicht herausgefordert: durch die steigende Zahl älterer, chronisch oder mehrfach erkrankter Menschen, durch den medizinischen Fortschritt, der vieles ermöglicht, aber auch hohe Ansprüche an spezialisierte Fachkräfte und Einrichtungen stellt, durch steigende Gesundheitskosten und die Frage nach deren Finanzierung. Besonders herausgefordert sind ländlich-periphere Regionen. Die gewohnte Versorgung mit wohnortnahen, umfassenden und rund um die Uhr verfügbaren Leistungen stösst zusehends an ihre Grenzen. So geraten kleinere Spitäler personell wie finanziell vermehrt unter Druck und müssen Leistungen abbauen. Gleichzeitig finden Hausärzte oftmals keine Nachfolger und müssen immer grössere Lasten tragen. Leistungsanbieter und Politik sind entsprechend gefordert, die bisherigen Strukturen und Leistungsangebote zu überdenken: Wie müssen diese angepasst werden, damit die Qualität, der allgemeine Zugang und die Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung in Zukunft sichergestellt sind?

Potenzial von eHealth-Lösungen

Der 14. Gesprächskreis zur Wirtschaftspolitik widmete sich möglichen Lösungsansätzen. In einem ersten Teil stand das Potenzial von telemedizinischen oder eHealth-Lösungen im Vordergrund. Adele Diederich, Professorin für Psychologie und Expertin für Priorisierung im Gesundheitssystem von der Jacobs University in Bremen (D), führte einleitend aus, dass die Bevölkerung offen sei für innovative Versorgungsformen, darunter etwa Online-Konsultationen und mobile Arztequipen. Auch zeigten Befragungen aus Deutschland, dass Menschen gute Qualität der Leistungserbringung insgesamt höher gewichten würden als deren Wohnortnähe. In der Peripherie könnten eHealth-Lösungen also durchaus einen ressourcenschonenden Beitrag zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung leisten.

Arnold Bachmann, Präsident des Vereins eSANITA, zeigte im Anschlussreferat den Stand der Arbeiten zur Digitalisierung der Gesundheitsprozesse in Graubünden auf. Diese umfassen einerseits die Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) und andererseits die elektronische Vernetzung der verschiedenen Leistungserbringer mit dem Ziel, die relevanten medizinischen Dokumente und Informationen orts- und zeitunabhängig verfügbar zu machen. Während die stationären Leistungserbringer – gesetzlich entsprechend verpflichtet – stark eingebunden sind und künftig insbesondere in der Spezialmedizin, den medizinischen Supportbereichen wie Radiologie, Labor oder Pharmazie sowie im ICT-Bereich von den gemeinsamen Digitalisierungslösungen profitieren dürften, ist noch unklar, wie hierfür die ambulanten Leistungserbringer verbreitet gewonnen werden können. Ebenso muss sich erst zeigen, inwiefern sich die Patientinnen und Patienten digital einbinden lassen – erste Erkenntnisse diesbezüglich sind ab Mitte November 2021 zu erwarten, ab wann in Graubünden die breite Bevölkerung EPDs eröffnen kann.

Thomas Krech, CEO des Start-ups MiSANTO zeigte schliesslich an der konkreten App, wie attraktive, auf künstlicher Intelligenz abgestützte eHealth-Lösungen funktionieren können. Die MiSANTO-App vereinigt automatisierte Symptombeurteilung, Patienten-Arzt-Chats und
-Videokonsultationen sowie patientenzentrierte Datenspeicherung in einer Anwendung und wird stetig weiterentwickelt. Die rasch wachsenden Nutzerzahlen widerspiegeln das Interesse an solchen Lösungen –auch bei älteren Personen. Offen bleibt die Frage, inwiefern digitale Lösungen auch akzeptiert werden, wenn sie die gewohnten, vor Ort erbrachten Gesundheitsdienstleistungen nicht nur ergänzen, sondern zu Teilen oder gar ganz ersetzen.

Hausärztinnen und Hausärzte als zentrale Akteure

Im zweiten Teil der Veranstaltung widmeten sich die Referierenden der Frage, mit welchen Versorgungsmodellen die Gesundheitsversorgung abseits der Zentren gesichert werden kann. Yvonne Gilli, Präsidentin der Schweizer Ärzteschaft, wie auch Heidi Jörimann, Präsidentin der Bündner Ärzteschaft, sahen den Schlüssel in der wohnortnahen Grundversorgung durch die Hausärztinnen und Hausärzte. Um diese weiterhin gewährleisten zu können, müssten die Kantone ihre Anstrengungen in der Ausbildung von Ärzten generell und von Hausärzten im Speziellen deutlich verstärken. Daneben seien regulatorische und tarifarische Rahmenbedingungen und Reformanstrengungen auf ihre Anreizwirkungen für Grundversorger zu überprüfen.

Peter Peyer, der Bündner Gesundheitsvorsteher, setzte einen anderen Schwerpunkt und betonte die Bedeutung der stärkeren Zusammenarbeit von verschiedenen Leistungserbringern in integrierten Versorgungsmodellen. Mit den jüngst geschaffenen und gesetzlich verankerten Gesundheitsregionen wolle der Kanton deshalb den Zusammenschluss von Spitälern, Alters- und Pflegeheimen und Spitex-Organisationen fördern. Während diese Bemühungen von den anderen Teilnehmenden als begrüssenswerter Schritt anerkannt wurde, bleibt zu klären, inwiefern gerade der zentrale Hausärztebereich, aber auch weitere freischaffende Leistungserbringer in die Gesundheitsregionen eingebunden werden können.

Felix Sennhauser, Verwaltungsratspräsident der St.Galler Spitalverbunde, betonte schliesslich, dass ausserhalb der Zentren neben der funktionierenden Rettungsorganisation vor allem ambulante Stützpunkte mit kompetenter medizinischer Triage notwendig seien. Um dies zu erreichen, müssten bestehende Strukturen, insbesondere im Spitalbereich, kritisch hinterfragt und gegebenenfalls auch angepasst werden. Hierfür brauche es politischen Mut und eine stete offene und faktenbasierte Kommunikation mit der Bevölkerung.

Die FH Graubünden bleibt am Ball

Forschende der FH Graubünden unterstützen Kantone und Gemeinden in Fragen rund um die Gesundheitsversorgung. So unterstützt das ZWF den Kanton Graubünden in der Erarbeitung des jährlich erscheinenden Gesundheitsversorgungsberichts. Monika Engler leitet im Kanton St. Gallen seit 2018 die Projektarbeiten für die Weiterentwicklung und Umsetzung der neuen Spitalstrategie. Daneben berät sie weitere Gesundheitsorganisationen in Fragen der Strategie und integrierten Versorgung.

 

Veranstaltungsreihe

Der vom ZWF jährlich organisierte Gesprächskreis zur Wirtschaftspolitik stellt eine Diskussionsplattform zu einem aktuellen wirtschaftspolitischen Thema dar. Diese Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit dem Förderkreis Wirtschaftspolitik durchgeführt, mit jeweils einem öffentlichen Teil für das breite Publikum und dem eigentlichen Gesprächskreis in einer kleineren Runde.

Erfahren Sie mehr unter fhgr.ch/gespraechskreis.

Impressionen der Veranstaltungen (Fotos von Jana Leu / FH Graubünden)

Yvonne Gilli forderte verbesserte Rahmenbedingungen, insbesondere für Hausärzte. (Foto: Jana Leu / FHGR)
Peter Peyer, Heidi Jörimann und Yvonne Gilli (vlnr) diskutieren über Fragen aus dem Publikum. (Foto: Jana Leu / FH Graubünden)
Felix Sennhauser brachte die St. Galler-Perspektive ein und forderte politischen Mut. (Foto: Jana Leu / FH Graubünden)
Monika Engler betont, dass die FH Graubünden an neuen Modellen für die ländliche Gesundheitsversorgung der Zukunft forscht. (Foto: Jana Leu / FH Graubünden)