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InfraTour – Gemeinden als Tourismusunternehmen
InfraTour – Gemeinden als Tourismusunternehmen

InfraTour – Gemeinden als Tourismusunternehmen

Gemeinden unterstützen die lokalen Bergbahnen finanziell, subventionieren neue Hotels oder erweitern teure Freizeitparks auf eigene Kosten. Beispiele zeigen: Unter dem Deckmantel der «Tourismusförderung» finanzieren Gemeinden heute die touristische Infrastruktur massgeblich mit – und dies nicht ohne Risiken.

Text: Prof. Dr. Curdin Derungs, Prof. Dr. Andreas Deuber, Gian Andri Hässig, Norbert Hörburger, Gian-Reto Trepp / Bild: Chur Tourismus, Graubünden Ferien / Sigfried Ludescher

Der Tourismus als wichtiger Eckpfeiler der Bündner Wirtschaft steht unter Druck. Der internationale Wettbewerb um die Gäste, hohe Lohnkosten und kleinräumige Strukturen fordern die touristischen Leistungsträger und Destinationen heraus. Die Bedürfnisse der Gäste steigen laufend, wodurch sich der Lebenszyklus der Angebote verkürzt. Dadurch steigen die Kosten, die sich jedoch im intensiven Wettbewerb zwischen heimischen und internationalen Angeboten kaum auf die Preise abwälzen lassen. In der Folge erodieren die Renditen und die Investitionskraft sinkt. Der alpine Tourismus befindet sich daher gesamthaft in einer Konsolidierungsphase. Dadurch ist ein wesentlicher Wirtschaftsmotor im Schweizer Alpenraum ins Stocken geraten, denn vom Tourismus hängen viele andere Gewerbe direkt oder indirekt ab. Es ist nachvollziehbar, dass die Tourismusgemeinden nicht einfach zusehen, sondern aktiv zur Wiedererstarkung des Tourismus beitragen wollen. Immer mehr springen sie als Investorinnen ein und unterstützen Bergbahnen, Schwimmbäder oder gar Hotels – nicht immer aus strategischen Überlegungen, sondern oft zur Sicherung des Betriebes.

Mit «InfraTour» sollen Gemeinden praktische Analyse-Instrumente und Empfehlungen für die Finanzierung von Tourismusinfrastrukturen und -immobilien erhalten.

Tourismusgemeinden vor Schicksalsentscheiden

Dabei haben Gemeinden immer öfters Entscheide von grosser Reichweite ausserhalb ihres eigentlichen Aufgabenbereichs und ihrer Kernkompetenzen zu treffen – und dies vor dem Hintergrund rückläufiger Erträge, etwa als Folge der Zweitwohnungsinitiative und der damit verbundenen Einbussen aus Handänderungs- und Grundstückgewinnsteuern. Oft fehlt es in den Gemeinden allerdings an der unternehmerischen Kompetenz oder diese steht infolge politischen Drucks bei der Entscheidungsfindung nicht im Vordergrund. Die konkreten Situationen können dabei durchaus dramatisch sein und Schicksalsfragen aufwerfen, wie zum Beispiel: Soll einer privaten Bergbahn mit hohen Schulden und grossem Investitionsbedarf, etwa in Anlagen zur technischen Beschneiung, finanziell unter die Arme gegriffen werden? Wie ist die Frage zu beurteilen, wenn die Bergbahn gar in öffentlichem Besitz ist? Ist ein finanzielles Engagement für ein neues Kultur- und Kongresszentrum sinnvoll, das für die touristische Entwicklung am Ort wichtig ist? Soll eine Gemeinde die Forderung eines Hotelprojektentwicklers akzeptieren, die privat zu erstellende Hotelanlage während der Betriebsphase mit jährlichen Beiträgen zu unterstützen?

 

InfraTour – Gemeinden als Tourismusunternehmen

Vor diesem Hintergrund haben das Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) und das Zentrum für Verwaltungsmanagement (ZVM) das Projekt «InfraTour – Gemeinden als Tourismusunternehmen» ins Leben gerufen. Ziel ist es, praktische Analyseinstrumente und Empfehlungen für Gemeinden zu erarbeiten, die sich mit Finanzierungsfragen von Tourismusinfrastrukturen und -immobilien konfrontiert sehen. Am Anfang steht eine Analyse der Ist-Situation. Hierfür werden erstmals das Ausmass der bestehenden Finanzierungen und Beteiligungen im Kanton Graubünden erhoben und Investitionsentscheide der Vergangenheit untersucht. In einer zweiten Phase wird anhand von Erkenntnissen des modernen Public Managements und von «Best-Practice»-Beispielen aufgezeigt, wie die Entscheidungsprozesse und das Management von Beteiligungen durch die Gemeinden ausgestaltet werden könnten. Die Gemeinden sollen dabei möglichst nachhaltige und langfristig sinnvolle Investitionsentscheide treffen. So soll es zukünftig möglich sein, dass die Gemeinden aus einer unternehmerischen Perspektive entscheiden, ob die lokale Bergbahn unterstützt, ein geplantes neues Hotel mit Subventionen gefördert oder die Freizeitinfrastruktur zu Lasten der Allgemeinheit renoviert, erweitert oder neu gebaut werden soll.

 

Ohne Strategie?

Ersten Analysen zufolge sind die Entscheidungsprozesse in den Gemeinden projektspezifisch und damit sehr unterschiedlich. Ihnen gemeinsam ist: Investitionsentscheiden fehlt es oft an einem Abgleich mit der regionalen Tourismusstrategie oder einem Masterplan. Auch wird die Frage nach der Rolle, die eine Gemeinde in einem infrastrukturnahen Tourismusprojekt einnehmen soll, kontrovers diskutiert. Dies zeigt sich bereits darin, dass Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter zum Teil in Verwaltungsräten von touristischen Leistungsträgern (z. B. Bergbahnen) einsitzen. Insgesamt haben viele Gemeinden kein Beteiligungskonzept erarbeitet, das ihnen als Richtlinie für Investitionsentscheide in die touristische Infrastruktur dienen könnte. Damit sind Investitionsentscheide in der Regel einzelfallbasiert und der Bedarf nach Entscheidungsgrundlagen, die einen systematischen Investitionsansatz ermöglichen, ist ausgewiesen.

 

Projektpartner

Das Projekt wird in enger Zusammenarbeit mit betroffenen Gemeinden durchgeführt – denn das Ziel ist ein praktikables und an den täglichen Bedürfnissen orientiertes Instrumentarium. Die sechs Bündner Tourismusgemeinden Arosa, Flims, Scuol, Surses, St. Moritz und Vals sind im Pilot dabei und beteiligen sich finanziell sowie durch Arbeitsleistungen am Projekt. Daneben engagieren sich das Amt für Wirtschaft und Tourismus Graubünden (AWT), das Amt für Gemeinden Graubünden (AfG), die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB) sowie die Organisation Kommunale Infrastruktur (OKI). Das Projekt wird bis Ende 2018 abgeschlossen und die Ergebnisse sollen 2019 an einer Fachtagung präsentiert werden.