Menu
Wissensplatz
Allen Unkenrufen zum Trotz: Jugendliche interessieren sich für Politik!
Allen Unkenrufen zum Trotz: Jugendliche interessieren sich für Politik!

Allen Unkenrufen zum Trotz: Jugendliche interessieren sich für Politik!

Die Lebenswelt Jugendlicher unterscheidet sich in grossem Mass von derjenigen der politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger. Neue Medien, vor allem auch soziale Medien, spielen für die Kommunikation der Jugendlichen eine wichtige Rolle. Kommunikation, die sich um viele Dinge dreht, selten aber um Politik – so lautet zumindest die weit verbreitete Meinung.

Text: Yvonne Herzig Gainsford, Prof. Dr. Amina Ovcina Cajacob, Prof. Martin Studer / Bild: Dachverband Schweizer Jugendparlamente

Mit «Scoop-it 2.0: Ein interdisziplinäres Projekt zur politischen Partizipation von Jugendlichen», untersuchte der Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) gemeinsam mit dem Institut für Multimedia Production IMP der FH Graubünden, wie es tatsächlich um das politische Interesse junger Menschen steht. Eine Online-Befragung lieferte in einem ersten Schritt vor allem quantitative Ergebnisse. In einem zweiten Schritt wurden diese Ergebnisse in mehreren Gruppendiskussionen näher betrachtet. Beide Teilprojekte bildeten gemeinsam die Grundlage für die Online-Plattform engage.ch, die im dritten Schritt umgesetzt wurde. Diese Plattform nutzt die Möglichkeiten der neuen Medien, um die politische Partizipation Jugendlicher zu fördern und zu stärken. Mit der Bereitstellung von niederschwelligen und informellen Kommunikationsmedien sollen Jugendliche dazu motiviert werden, sich politisch einzubringen. Betreiber der Plattform sind die regionalen Jugendparlamente zusammen mit dem DSJ, die den Partizipationsprozess der Jugendlichen initiieren und moderieren. Das ganze Projekt wird durch die Stiftung Mercator Schweiz, die Avina Stiftung und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) gefördert.

 

Quantitativ und qualitativ gestützt

An der Online-Befragung, die im Frühling 2014 durchgeführt wurde, haben insgesamt 3,398 Personen teilgenommen, die meisten davon aus den Schweizer Kantonen Glarus, Graubünden, St. Gallen, Zürich und aus dem Fürstentum Liechtenstein. Teilnehmerinnen und Teilnehmer hielten sich in etwa die Waage; zwei Drittel von ihnen waren zum Zeitpunkt der Umfrage minderjährig, d. h. jünger als 18 Jahre, ein Drittel war zwischen 18 und 25 Jahren alt.

Die Gruppendiskussionen dienten einerseits dazu, die Ergebnisse aus der quantitativen Befragung zu validieren, andererseits aber auch, um bestimmte Antworten vertieft zu diskutieren. Insgesamt wurden fünf Diskussionsrunden mit jeweils 6 bis 11 Jugendlichen durchgeführt, die von einem/einer oder zwei Moderator(en)/Moderatorin(nen) geleitet wurden. Eine der Gruppen setzte sich ausschliesslich aus Volljährigen zusammen, drei bestanden aus Voll- und Minderjährigen, in einer Gruppe waren alle Teilnehmenden minderjährig. Eine Diskussionsrunde wurde in Zürich in Zusammenarbeit mit NZZ Campus durchgeführt, die übrigen fanden an zwei Gymnasien im Kanton Graubünden statt.

International…

Die wichtigste Erkenntnis lässt sich sowohl durch die Online-Befragung als auch durch die Gruppendiskussionen stützen: Die Jungen interessieren sich sehr wohl für politische Themen und das Weltgeschehen. Dabei muss allerdings eine Einschränkung gemacht werden. Es sind vor allem die nationale und die internationale Politik, die auf Interesse stossen, bei den Volljährigen etwas stärker als bei den Minderjährigen. Und zwar auf grosses Interesse. So gaben bei der Online-Befragung 75 Prozent an, dass sie sich mehrmals wöchentlich über das aktuelle Weltgeschehen informieren – fast gleich häufig wie über Musik. Die regionale Politik sowie das Geschehen in der Gemeinde scheinen im Gegensatz zu den nationalen und internationalen politischen Themen weniger zu interessieren.

Zwei Drittel der Volljährigen gaben an, dass sie an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen. Auch für die Diskussionsteilnehmenden scheint die persönliche Mitbestimmung wichtig zu sein. Das Bewusstsein, dass nur durch aktive Teilnahme am politischen Prozess etwas bewirkt werden kann, ist klar vorhanden. Von den minderjährigen Diskussionsteilnehmenden wurde bemängelt, dass sie nicht mitreden könnten, obwohl ja gerade in erster Linie ihre Generation die Konsequenzen von heutigen politischen Entscheidungen tragen müsste.

Diejenigen, für die Politik kein Thema ist, begründeten ihr Desinteresse etwa mit Zeitmangel, aber auch mit Formalitäten, die abschreckend wirken würden, oder mit einem Abstimmungsprozedere, das zu kompliziert sei. Geäussert wurde auch die Meinung, dass die anderen es schon richten werden: «Also ich finde, das Abstimmungs- und Politikzeugs sollen die machen, die eine Ahnung davon haben.»

…und multimedial

Und wie informieren sich die Jugendlichen überhaupt über politische Themen? Für die Informationsbeschaffung spielen Online-Newsportale eine wichtige Rolle, daneben sind aber auch die klassischen Medien wie Zeitungen, Radio und Fernsehen von grosser Bedeutung. Auch bestimmte Fernsehsendungen dienen als Quellen für politische Informationen und auch die Webseiten der Parteien werden bei Bedarf konsultiert.

Schwierig wird es dort, wo politische Themen in langen Texten oder in schwer verständlicher Sprache vermittelt werden. Das schreckt die Jugendlichen eher ab. Bevorzugt werden kurze Texte und auch Videos werden als sinnvolle und verständliche Art der Informationsvermittlung positiv beurteilt.

Am liebsten persönlich

Über Politik wird auch gesprochen. Geführt werden Diskussionen etwa über elektronische Medien, z.B. über Instant-Messaging-Applikationen wie WhatsApp. Facebook als Plattform für politische Diskussionen wurde hingegen gerade von den Teilnehmenden der Gruppendiskussionen sehr kritisch bewertet. Ab und zu würde zwar jemand einen Zeitungsbeitrag mit politischem Inhalt posten, und dann könne sich daraus auch eine Diskussion entwickeln. Dies scheint aber eher die Ausnahme als die Regel zu sein. Die Gefahr im Zusammenhang mit Social Media wird einerseits darin gesehen, dass schnell Missverständnisse entstehen könnten, andererseits aber auch darin, dass man sich dadurch exponiere: «Wenn man etwas öffentlich reinschreibt, sehen das viel zu viele Leute. Auch die, die man gar nicht kennt.»

Die Jugendlichen sind, so scheint es, für die kritischen Punkte im Zusammenhang mit Social Media recht stark sensibilisiert. Vor diesem Hintergrund ist es daher nicht erstaunlich, dass dem persönlichen Gespräch eine sehr grosse Bedeutung zukommt. So gaben in der Online-Studie etwa 80 Prozent der Befragten an, dass sie innerhalb der Familie über politische Themen sprechen würden. Aber auch im Freundeskreis oder unter Arbeitskolleginnen und -kollegen würde viel diskutiert. Auch dieser Befund liess sich durch die Gruppendiskussionen klar stützen.

engage.ch

Sowohl die quantitative Befragung als auch die Gruppendiskussionen zeigten, dass für eine Web-plattform wie engage.ch (siehe Abb. 1) durchaus Bedarf besteht.

 

Der Prozess von engage.ch

Die implementierte Webplattform ist in die Bereiche machen, treffen und wissen aufgeteilt (siehe Abb. 2). Im Bereich machen können einerseits neue Anliegen eingebracht werden, andererseits können bestehende, offene und umgesetzte Anliegen sowie Erfolgsgeschichten angeklickt und mitverfolgt werden. Unter treffen ist die Übersicht über die Jugendparlamente der Schweiz ersichtlich. Unter wissen schliesslich werden allgemeine Informationen zur Politik und zur möglichen Beteiligung Jugendlicher in der Politik wiedergegeben.

 

Desktop-Ansicht der Plattform

Mit dem Ziel, die Partizipation von Jugendlichen zu steigern, ist es auch für nicht-angemeldete User möglich, bestehende Anliegen zu liken oder zu kommentieren sowie neue Anliegen einzubringen.

 

Darstellung der Webplattform auf einem mobilen Gerät (iPhone 5)

Zwei Aspekten wurde in der Umsetzungsphase besondere Aufmerksamkeit zuteil: Einerseits der visuellen Gestaltung, indem Layout und Design in Zusammenarbeit mit einer Designerin erarbeitet wurden. Andererseits wurden durch einen Mobile-First-Ansatz die Darstellung und Funktionalität auf mobilen Geräten priorisiert, da Jugendliche überwiegend mit mobilen Geräten im Internet unterwegs sind (siehe Abb. 3).

Die Plattform nutzt das Open-Source-Content-Management-System Drupal 7.0 als Backend. Drupal eignet sich für Webplattformen, die vor allem auf User Content basieren, weil es viele der benötigten Funktionalitäten mitbringt und weil sich fehlende Funktionalitäten über ein flexibles Modulkonzept nachrüsten lassen. Als Frontend Framework wird Bootstrap 3 for Drupal genutzt, womit die Plattform auf Desktop und mobilen Geräten verfügbar gemacht wird. Seit Juli 2015 ist die Webplattform unter engage.ch online und wird laufend weiterentwickelt.

Scoop-it 2.0, ein etwas anderes Projekt

Das Projekt ist nicht nur speziell auf die Bedürfnisse von Jugendlichen zugeschnitten, sondern geht weiter als die bisherigen Angebote. Anliegen der Bürgerinnen und Bürger können nicht nur bei den Behörden, sondern auf allen Stufen der Politik (Verwaltung, Exekutive, Legislative) eingebracht werden und man kann für ihre Umsetzung lobbyieren. Die Schnittstelle zwischen den Jugendlichen und der Politik sowie den Behörden übernimmt bei Scoop-it 2.0 das Jugendparlament.

Das Projekt fördert die informelle politische Partizipation, insbesondere bei apolitischen, bildungsfernen Schichten. Neue Medien werden dabei miteinbezogen, es besteht eine Schnittstelle zwischen der formellen und informellen politischen Partizipation. Bei Scoop-it 2.0 werden Forschung und praxisorientierte Entwicklung einer Methode miteinander verbunden. Dadurch, dass das Team interdisziplinär und institutionenübergreifend arbeitet (Institut für Multimedia Production IMP, Institut für Photonics und ICT IPI, Dachverband Schweizer Jugendparlamente sowie Zentrum für Demokratie Aarau), wird das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven aufgegriffen.